“HERMANN COLLITZ (1855-1935)” in “Portraits of Linguists: A Biographical Source Book for the History of Western Linguistics, 1746-1963, V. 2”
HERMANN COLLITZ (1855-1935)
Hermann Collitz — In Memoriam
E. Prokosch
Unter den Namen, die der amerikanischen Sprachwissenschaft auch in Europa einen guten Klang gegeben haben, wird der Name Hermann Collitz stets in der ersten Reihe stehen. Nicht nur hat er von Amerika aus die Sprachwissenschaft auf vielen Gebieten bereichert, er ist auch oft mit stolzer Männlichkeit dafür eingetreten, daß in Europa überhaupt und am meisten in Deutschland amerikanische Leistung gebührende Anerkennung finde. Am entschiedensten hat er diese Forderung gestellt in der Einleitung zum ersten Band der Hesperia, seinem Hauptwerk über das germanische schwache Präteritum.
Alle, die ihn kannten, waren ihm freund. Er hatte keinen Feind, keinen Gegner, keinen, der ihm übelwollte. Seine gleichmässige Güte, seine unbedingte Ehrlichkeit, seine vornehme Bescheidenheit sprach aus jedem seiner Worte, aus jedem Lächeln. Dabei wußte er für seine wissenschaftliche Überzeugung seine wissenschaftlichen Ansprüche mit Festigkeit einzutreten, wie namentlich der Aufsatz ‘Zur Wahrung meines Rechtes’ im 12. Bande von Bezzenbergers Beiträgen (1887) zeigte. Andrerseits fehlte ihm jeder wissenschaftliche Eigensinn, ähnlich wie Sievers durch seine Sagverstheorie ein gut Teil seiner Typentheorie gleichmütig beiseite legte, zog Collitz 1928 (PMLA 43, 593 ff.) einen Strich durch ein wesentliches Stück seiner 1912 gegebenen Erklärung der germanischen schwachen Präteritums—ein schöner Zug wissenschaftlicher Unbefangenheit.
Mann kann Collitz nicht klassifizieren. Gewiss zeigt jede seiner Arbeiten die zuverlässige, besonnene Methode der Leipziger junggrammatischen Schule, der er chronologisch nahestand ; aber er gehörte nicht zu ihr, er hat sich von der ersten zur letzten Seite seiner vielen Werke seine geistige Selbständigkeit gewahrt. Er ist immer einfach Hermann Collitz geblieben, war nie Mitglied einer Methodenrichtung, obwohl er oft mit anderen Gelehrten zusammenarbeitete.
Hermann Collitz war 1855, an einem Sonntag, in Bleckede an der Elbe geboren, nicht weit von Wilhelm Raabes braunschweigischer Heimat. In der Tat erinnert er in manchen Dingen an einige der feinsten von Raabes Gestalten. Wie diese stand er dem äußeren Leben mit Freundlichkeit, aber ohne starken Anteil gegenüber, ohne den Wunsch, sich selber, als Persönlichkeit, zu erhöhen oder auch nur durchzusetzen. Umso reicher war, wie bei jenen, sein inneres Leben — seinen Freunden, seiner Gattin, seinen Studenten und der Wissenschaft gegenüber. Vielleicht ist es aus dieser Seelenart heraus zu verstehen, dass ihn die deutsche Universität nach Amerika ziehen liess ; war er doch 1885, als er seine Dozentenstelle in Halle aufgab und einen Ruf an das eben gegründete Bryn Mawr College annahm, schon ein Gelehrter ersten Ranges, den besten seiner Zeit ebenbürtig. Schon sieben Jahre vorher, ein Jahr vor seiner Promotion, hatte er die indogermanische Sprachwissenschaft aufs wertvollste bereichert. Hatte Jakob Grimm fast sechzig Jahre vorher das Verhältnis der germanischen zu den indogermanischen Konsonanten klargestellt, so wies nun der 23jährige Collitz die Ursprünglichkeit des europäischen gegenüber dem arischen Vokalismus nach, in einem Artikel ‘Über die Annahme mehrerer ursprachlicher a-Laute’ (BB 2), der im nächsten Jahre eine Fortsetzung und weitere Begründung fand in seiner Göttinger Dissertation ‘Die Entstehung der indo-iranischen Palatalreihe’ (BB 3). Von seinen anderen Arbeiten seien hier nur ganz wenige genannt, nur solche, die mir besonders geeignet scheinen, sein vielseitiges Wissen und Können zu kennzeichnen. Die vollständige Liste, die in der Collitz-Festschrift (1930) enthalten ist, enthält weit über hundert Titel und erstreckt sich über so ziemlich alle indogermanischen Sprachen, Epigraphik, vergleichende Mythologie, Ethnographie, Geschichte, Goethes Faust usw.
Er hatte grosse Männer zu Lehrern : Bezzenberger, Fick, Benfey, Sauppe in Göttingen, Johannes Schmidt, Müllenhoff, Scherer, Zimmer, Jagić in Berlin ; und er war jedem von ihnen ebenbürtig. Ursprünglich lag das Gewicht seiner Arbeit im Indo-Iranischen, Griechischen und Allgemein-Indogermanischen. So begann er in Gemeinschaft mit anderen Gelehrten 1883 die Herausgabe griechischer Dialektinschriften, die sich bis 1915 hinzog. Noch seine Habilitationsschrift an der Universität Halle (1885), ‘Die Flexion der Nomina mit dreifacher Stammstufe im Altindischen und Griechischen’ (BB 10), und die im gleichen Jahre erschienene Klarstellung der ‘Verwandtschaftsverhältnisse der griechischen Dialekte’ wies nach dieser Richtung, und zu dieser Zeit plante er auch zusammen mit Fick, Bezzenberger und Bechtel eine vierbändige vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen, deren Herausgabe freilich durch die Arbeit an den griechischen Dialektinschriften verzögert wurde und dann durch das Erscheinen von Brugmanns Grundriss sich ganz erledigte.
Die Germanistik hat es Bryn Mawr College zu verdanken, dass er in seinem späteren Leben ihr den grössten Teil seiner Kraft widmete. Denn dort wirkte Hermann Collitz 1885-1907 als Professor der germanischen Philologie — zu der Zeit, als an derselben Anstalt der Klassizist Paul Shorey, der Historiker Woodrow Wilson, der Sanskritist Washburn Hopkins lehrten. Obwohl die Lehrtätigkeit, zumal auf dem ihm ferner liegenden Gebiete der deutschen Literaturgeschichte, notwendigerweise seine Kräfte etwas zersplittern musste, veröffentlichte er doch auch in dieser Zeit eine grosse Zahl von Aufsätzen und Besprechungen, die sich immer bestimmter der germanischen Sprachwissenschaft zuwandten. Die neue Richtung begann 1888 mit dem wertvollen Aufsatz ‘Über die Herkunft des schwachen Präteritums der germanischen Sprachen’ (AJPh 9) und wurde durch zahlreiche Arbeiten über alle altgermanischen Dialekte, über Holländisch, Flämisch, Friesisch usw. fortgesetzt, ohne daß jedoch die Beschäftigung mit dem Griechischen und Arischen ganz zurücktrat.
Während der folgenden zwanzig Jahre lehrte Collitz an der Johns Hopkins University, wo er 1912 seine Sammlung, ‘Hesperia. Schriften zur germanischen Philologie’ begründete und mit seinem methodisch und formell gleich vollendeten Werk ‘Das schwache Präteritum und seine Vorgeschichte’ eröffnete, einem Werke, das die Grundgedanken seines oben erwähnten Aufsatzes über dasselbe Problem auf breitester Grundlage fortführte und weiter begründete. Mag man seiner Auffassung ganz und gar beipflichten oder nicht, so kann man doch sicher dem ausserordentlich glücklichen Gedanken seine Anerkennung nicht versagen, dass Collitz die auffällige Übereinstimmung zwischen dem gotischen und griechischen thematischen Passiv des Präsens einerseits und dem gotischen schwachen Präteritum und dem griechischen unthematischen Passiv des Perfekts andrerseits betonte, im Sinne dieser Proportion : nasj-a-da : nasi-da = λύ-ε-ται : λέλν-ται.
1916 wurde Collitz von der University of Chicago zum Ehrendoktor ernannt. Für das Jahr 1925 wurde er zum ersten Präsidenten der eben gegründeten Linguistic Society of America und gleichzeitig zum Präsidenten der Modern Language Association of America erwählt. 1927 legte er, 72jährig, sein Lehramt nieder, ohne jedoch der wissenschaftlichen Arbeit zu entsagen. So blieb er auch nach seinem Rücktritt ein führendes Mitglied des Linguistic Institute.
Source : E. Prokosch, ‘Hermann Collitz—In Memoriam,’ The Journal of English and Germanic Philology 35.454-457 (1936). By permission of The Journal of English and Germanic Philology, published by the University of Illinois Press under the auspices of the Graduate College, Urbana, Illinois.
1 The editors of the Journal regret that this appreciation of the personality and work of Hermann Collitz appears with such delay. On their request, another scholar had taken it upon himself to write the necrology, expressing the expectation to have it ready by July 15, 1935. When it was not forthcoming for nearly a year, the editors invited Professor Prokosch to pay his tribute to Professor Collitz and received the following article virtually by return mail.—GEORGE T. FLOM.
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