“ANTON REGULY (1819-1855)” in “Portraits of Linguists: A Biographical Source Book for the History of Western Linguistics, 1746-1963, V. 1”
ANTON REGULY (1819-1855)
Anton Reguly’s Gedächtnis
Josef Pápay
Das Jahr 1835 eröffnet in der Geschichte der finnisch-ugrischen vergleichenden Volks- und Sprachkunde einen neuen Zeitabschnitt. Es erschien damals in Elias Lönnrots Ausgabe die Kalevala, das National-Epos der Finnen. Die ganze gebildete Welt war von dieser grossartigen Schöpfung der Volksseele überrascht. Lönnrots Erfolg erfüllte die Jugend mit Begeisterung. Mit grossem Fleisse wurden die volkssprachlichen Schätze und Überlieferungen gesammelt. Castrén war einer der ersten, die an der Seite des Meisters die Samm- lungen begannen. Das Werk des Meisters setzt der Schüler mit emsigem Eifer fort und breitet seine Forschungen auf die Gesamtheit der finnisch-ugrischen Völker aus.
1839 kommt Anton Reguly1 nach Helsingfors. Ihn hatten seine Eltern zur Vollendung seiner Rechtsstudien auf irgendeine deutsche Universität gesandt. Das Geheimnisvolle des hohen Nordens bemächtigt sich der Seele des für Naturschönheiten ausserordentlich empfänglichen Jünglings. Er verlässt Deutschland mit der geheimen Absicht, Skandinavien zu besuchen. In Kiel schifft er sich nach Kopenhagen ein. Von hier reist er nach Stockholm ; hier wird er in der königlichen Bibliothek mit Arvidson bekannt, der die Aufmerk- samkeit des ungarischen Jünglings für die finnisch-ugrische Frage in höchstem Masse erweckt. Reguly entschied sich. Sein ganzes Leben will er der finnisch-ugrischen Volks- und Sprachkunde weihen. Zuerst befieisst er sich mit Castrén’s Hilfe die finnische Sprache zu erlernen ; dies war ihm aber viel schwerer, als er es gedacht hatte ; er fühlt den Mangel an sprachwissenschaftlichen Vorstudien, die Schwierigkeiten des Lernens. Aber er weiss sich zu helfen, er geht unter das Volk und erzielt wirklich in kurzem unglaubliche Erfolge. Zu seinen nächsten Forschungen leistet ihm die finnische Gelehrte Gesellschaft Vorschub und erwählt ihn zum Mitgliede. Die An- erkennung steigert nur noch die Strebsamkeit des Jünglings, jetzt schreitet er mit erhöhter Begeisterung weiter fort. Nichts kann ihn auf seinem Wege aufhalten, weder die Besorgnis der liebenden Eltern, noch der Mangel an Geldmitteln für die lange Reise ; mit schwärmerischer Begeisterung trachtet er seinem Ziele entgegen. In seinem Geiste keimen grosse Pläne. Der hochbegabte Jüngling aber ist nur mit edler Mässigung bestrebt, diese Pläne zu verwirklichen. Er ist sich dessen bewusst, was ihm noch fehlt. Sein Wissen mehrt er durch fleissiges Lernen, nur darin kennt er keine Mässigung ; mit wahrer Begierde verschafft er sich die nötigen Kenntnisse. Mitten in dieser anstrengenden Arbeit können ihn die Sorgen für den täglichen Unterhalt nicht entmutigen, obgleich er immer mit ihnen zu kämpfen hat ; der von ferne winkende Erfolg lindert seine Leiden.
Nachdem er auf einer grösseren lappländischen Reise den nötigen StofF zu den westfinnischen, zugleich auch zur lappischen Sprache erworben hatte, wendete er seine Aufmerksamkeit den Ostfinnen zu. Er hofft in Sankt-Petersburg Stoff zu finden, vielleicht auch aus der Heimat Hilfe zu bekommen, um dieselben an Ort und Stelle erfor- schen zu können.
In Sankt-Petersburg (wo er am 11. Juni 1841 eintraf) finden wir ihn schon in sehr hervorragender Umgebung. Kaum hatte er noch die Schwelle der Jugend überschritten, als seine ausgebreiteten Kennt- nisse schon die Aufmerksamkeit ernster Gelehrter ihm zuwandten. Die weitberühmten Mitglieder der kaiserlichen Akademie : Baer, Frähn, Koppen, Krug und Schmidt lenken mit grösster Bereitwillig- keit den hochstrebenden Jüngling in seinen Bemühungen, unter- stützen ihn mit väterlichem Wohlwollen in der Ausführung seiner Pläne.
Er verkehrte auch im Hause des Staatsrates Balugyánszky, der im Jahre 1803 samt seiner Gemahlin aus Ungarn gekommen war. Das Ehepaar nahm den hochstrebenden jungen Landsmann mit Liebe in seinen Kreis auf. Reguly begann auch hier sofort seine Unter- suchungen und vergrub sich in seine Studien. Nichts konnte ihn davon abwenden, auch die Aufforderungen nicht, in die heimischen Zeitschriften zu schreiben, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu lenken. Am 10. Juli 1841 schreibt er seinen Eltern : ‘Zur Zeit zieht mich am meisten die Sprachforschung an, die schon bis jetzt der alten Geschichte ein anderes Aussehen verliehen hat und wir besitzen auch kein anderes Mittel zu ihrer Beleuchtung’. Schon diese Zeilen legen von dem wissenschaftlichen Streben des jungen Forschungsreisenden ein beredtes Zeugnis ab ; sozusagen über- raschend ist die Bestimmtheit, mit der er die Richtung seiner Forschung angibt. Später, am 17. November schreibt er : ‘Ein Jüngling möge um keinen Preis die einem Manne bestimmte Bahn betreten. Je länger er sich als einen Schüler betrachtet, je beharrlicher er die Zukunft im Auge behält und sich dafür vorbereitet, desto reifere Früchte kann er von seinen Bemühungen erwarten. Meine Meinung ist, dass es einem jeden jungen Manne zu empfehlen wäre, sich des frühen Schreibens zu enthalten. Der grosse Haufe der Scribenten, der überall emporwuchert, wie die Schwämme nach dem Regen, und nichts anderes tut, als das unrichtig wiederholen, was andere richtig und schön gesagt haben, verursacht der Welt genug Langeweile : wenn nun jemand die Sache überhastet und vor der Zeit auftritt, muss auch er zu diesem Haufen gerechnet werden, wenn auch ein besserer Keim in ihm ruht. Ich darf aber auch das nicht vergessen, da ich für die Akademie und zwar auf streng wissen- schaftlichem Gebiete arbeiten will, das es für mich nicht geziemend ist, mich den Zeitungsblättern aufzudrängen . . . Haben Sie keine Furcht, lieber Vater, wenn man auch über mich noch nicht redet, darum arbeite ich nicht umsonst ; wäre ich dessen nicht sicher, dass ich mein Ziel erreiche, so könnte ich Zeitungsartikel zur Genüge schreiben, um über mich reden zu machen . . . Doch eine gute und schöne Sache verfolgt man nur zu einem edlen Zwecke ; und wenn man der Wahrheit einen wirklichen Dienst erweisen will, so soll man nicht schreiben, bevor man sich nicht gänzlich fest und bereit fühlt’.2
Aus diesem Briefe ist zu ersehen, dass er schon damals mit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Verbindung war. Dies konnte er seinem einstigen Professor, dem ehrwürdigen Boni- facius Maar verdanken, der über Regulys finnische und lappische Reisen einen kurzen Bericht geschrieben und zur Veröffentlichung in irgendeiner belletristischen Zeitschrift Toldy zugesandt hatte, um auf diese Weise vielleicht die Aufmerksamkeit des ungarischen Publikums auf den jungen Reisenden zu lenken. Toldy hielt die Akademie für das berechtigte Forum und setzte durch, dass die ungarische Gelehrte Gesellschaft Reguly, nebst einigen Aufträgen, einen Betrag von 200 Gulden sandte und ihre weitere Unterstützung von Regulys Antwort und Bericht abhängig machte.
Der Auftrag der Akademie steigerte den Ehrgeiz des jungen Reisenden in ausserordentlichem Masse, von nun an konnte er sich für den Beauftragten der ungarischen Wissenschaft betrachten. Den ganzen Winter verbrachte er in fleissiger Arbeit, seine Bekannten sahen ihn oft monatelang nicht, er zog sich gänzlich von der Gesell- schaft zurück, deren beliebtes Mitglied er war. Er empfand die Unzulänglichkeit seines linguistischen Wissens, mit unermüdlichem Fleisse trachtete er dem Mangel abzuhelfen. Wilhelm von Humboldts, Bopps und Grimms sprachwissenschaftliche Werke waren jene, aus denen er sich einen Überblick über den Zustand der damaligen allgemeinen Sprachwissenschaft verschaffen konnte. Zur selben Zeit sammelte er schon Daten zur Sprache der Ost-Finnen. Diese an- strengende Arbeit untergrub seine körperlichen und geistigen Kräfte. Dazu kamen noch seine drückenden Geldzustände, die seinen schön- sten Plänen mit Vernichtung drohten. Aus der Heimat bekam er nur ungünstige Nachrichten. Am 20. März 1842 schreibt er seinen Eltern : ‘Im Auslande soll man lernen, dacht ‘ich mir ; und für längere Zeit abgeschlossen von der Welt, habe ich gierig gelernt, gearbeitet, mit grossem Kraftaufwand, ohne Unterlass, auf alles verzichtend, was nicht zu meinen Studien gehörte, auf das Leben, auf die Ruhe, auf die Gegenwart, wozu mich auch meine Armut und mein Stolz bemüssigen ! О wenn ihr mein Leben gesehen hättet, ihr hättet gestaunt! Und doch fühlte ich mich glücklich, solange meine Kräfte langten zu arbeiten ; doch jetzt bin ich aus meinen Himmeln gefallen, ich fühle mich, wie ein aus dem Paradiese Vertriebener ; meine Freunde können mich mit all ihrer Güte nicht erfreuen : Unruhe, Unzufriedenheit, Lebensüberdruss bemächtigen sich oft meiner ; dann quälen Blutandränge meinen armen Kopf, manchmal liege ich in nahezu bewusstlosem Zustande, bin nicht imstande zusammenhängend zu denken . . .’3
In solchem Seelenzustande schrieb er seinen ‘Bericht an die ungarische Akademie’, der am 2. Mai 1842 in Pest ankam. In diesem Berichte steht schon der fertige Mann vor uns : er ist mit seinem Plane im reinen, kennt die Mittel, mit denen er ihn verwirk- liehen kann ; mit grösster Entschiedenheit bereitet er sich auf die Reise vor, die ihm sicheren Erfolg verspricht. Dieser Bericht ist so klar abgefasst, dass viele seiner Behauptungen noch heute geltend sind, obgleich seitdem schon mehr als ein halbes Jahrhundert ver- flossen ist und die Wissenschaft, die damals noch im Keime stak, zu einem weitverzweigten Baume emporgewachsen ist. Sajnovics, Gyarmathi tasten noch unsicher herum, Reguly sieht schon sehr viel klar vor sich, und kommt mit strenger Logik, auf Grund sprach- wissenschaftlicher und geschichtlicher Daten zu seinen Schluss- folgerungen. ‘Als ich in Stockholm — schreibt er — des öfteren Gelegenheit hatte, mit Finnen zusammenzukommen und über ihre Sprache immer eingehender unterrichtet zu werden, da schien mir der Gegenstand endlich viel anziehender, als dass ich ohne sicherere Daten hätte Weiterreisen können. Ich begann in Sajnovics,4 in Gyarmathi5 zu lesen und war überrascht, besonders was des Letzteren nicht fruchtlose Bemühungen wiesen. Er kannte nur die West-Finnen, und auch die nur unvollkommen, und über die Ost-Finnen hat er nur einige Angaben ; dennoch gibt er Proben der Verwandtschaft solchen Masses, und beweist vorzüglich einen solch erheblichen Zusammenhang der Ost-Finnen mit unserer ungarischen Sprache, dass mir diese Frage für unser Vaterland von bedeutender Wichtigkeit schien und ich einsah, dass Gyarmathis Werk eine Fortsetzung nicht nur verdienen würde, sondern aus nationalem Interesse eine Fort- setzung sogar auch fordere. Es gibt auch kein mehr sicheres und gründlicheres Verfahren, die Verwandtschaft der Völker zu beweisen, als die Erforschung und die Vergleichung ihrer Sprachen, und wenn Gyarmathi mit seinen geringen Kenntnissen die Verwandtschaft des West-Finnischen mit dem Ungarischen als wahrscheinlich beweisen konnte, so wäre es anregend und auch an der Zeit, nach einem halben Jahrhunderte, mit vollständigerer Kenntnis dieser finnischen Spra- chen, sachgemäss und gründlich die Frage zu erörtern, und sie entweder zu beweisen oder zu widerlegen. Wir sollen auch von Ausländern keine Anweisung erwarten, die, obgleich keiner von ihnen nach Gyarmathi ausführlicher diesen Gegenstand behandelt hatte, von uns doch schon überall wie von Finnen reden. Ich freute mich, meinem Vaterlande einen solchen Dienst erweisen zu können, und der Entschluss für diese Arbeit war mir nicht schwer. Wie viel könnte wohl, dachte ich, unsere Sprache gewinnen, wenn diese vor- ausgesetzte Verwandtschaft eine wirkliche und wie es (bei den Ost-Finnen) scheint eine nahe Verwandtschaft wäre. Vielleicht gäbe es unter diesen finnischen Sprachen eine, die möglich eine ältere Schwester unserer Sprache ist, oder könnten wir aus der gesamten Kenntnis dieser finnischen Sprachen — als den Verzweigungen ein und derselben Ursprache — zu jener Ursprache gelangen, der auch unsere Sprache entstammt, in der wir die Urformen, aus denen sich unsere Sprache zu ihrem heutigen Wesen entwickelt hat, auffinden könnten.
Wenn wir so die Art und Weise ihres Ursprunges, den Verlauf ihrer Entwicklung, wenn wir die Vergangenheit unserer Sprache so kennen lernen könnten, um uns daraus für die Lösung der zweifei- haften Fragen in der Gegenwart Ratschlag zu erholen !
Welch ein Fortschritt könnte dies sein! und gerade in der Zeit, in der unsere Sprache im Begriffe steht, zur öffentlichen nationalen Sprache zu werden, wo der Kreis ihres Gebrauches sich immer mehr erweitert, so dass sie bald der Masstab unserer Bildungstufe sein wird. Jenes alte Urbild unserer Sprache hervorzuzaubern, aus der sie im Laufe der Jahnhunderte das geworden, was sie jetzt ist, das wäre die Hauptsache, was in der Angelegenheit unserer Sprache zu tun nötig wäre. So habe ich’s mir erdacht, solch ein Ziel sah ich vor mir und damit hatte ich auch den Entschluss zur Arbeit gefasst — ich gehe, dachte ich, einem Schatzgräber gleich, an die Arbeit, wohl mit zweifelhafter Aussicht, doch einen nationalen Schatz zu suchen ; und würde ich nichts finden, so könnte ich anstatt dessen wenigstens sagen, dass hier das nicht zu finden ist, was andere hier versprochen hatten — und damit hätten wir auch gewonnen.
Was mein Ziel ist, das sieht die Akademie. Die entgültige Ent- Scheidung der Frage : besteht eine Verwandtschaft zwischen der ungarischen und finnischen Sprache und in welchem Grade — oder besteht keine? und zweitens : wie können uns diese verwandten Sprachen in der Pflege unserer Sprache behülflich und nützlich sein? Dies ist eine grosse Arbeit und ihr Gebiet ist grösser, als es im ersten Augenblicke scheint. Ich erwog aber dies alles nicht — ich hatte nur das Ziel vor Augen : die Arbeit zu unternehmen, damit unserem Vaterlande daraus wirklicher Nutzen und Fortschritt erwachse.
Der erste Teil ist die Grundlage ; diese fordert daher mit reifer Erwägung erforscht und festgestellt zu werden, wenn wir eine gründ- liehe Lösung der Frage wünschen und nicht vergeblich arbeiten wollen. Das Ziel ist ein linguistisches, daher musste ich den linguisti- sehen Weg betreten. Da nun dort, wo die Sprache verwandt ist, auch das Volk, welches sie spricht, verwandt sein muss, so ist nun der linguistische Weg — der sicher unfehlbare und der alleinige zum Beweise der Verwandtschaft längsther getrennter Völker — zugleich die Grundlage der geschichtlichen Forschung, die der zweite Teil in der Frage solcher Verwandtschaft ist. Wenn der linguistische Teil klar und festgestellt ist, dann muss zur ethnographischen und historischen Wichtigkeit der Frage geschritten werden, um den vollständigen Abschluss der Frage hervorzubringen ; ich musste daher auf alles achten, was sich auf Äusseres, Gestalt, Charakter, Lebensweise, Kleidung, Sitten, Aberglauben, Mythologie, Altertümer u. s. w. des Volkes bezieht. Diese Punkte sind dieselben, die schon mehrere unserer Landsleute von der eingehenderen Erfor- schung dieser Frage zurückgehalten haben, und wegen denen man in unserem Vaterlande die Erörterung dieser Verwandtschaft nicht gerne hört. Doch wer die Wahrheit sucht, darf solchen Vorurteilen nicht huldigen und wer in wissenschaftliche Untersuchungen ein- dringen will, dem dürfen solch vorübergehende Unterschiede nicht als Vorwand dienen. Die Völker müssen sich mit der Zeit verändern, so wie sich ihr Schicksal verändert. ‘Weiter sagt er folgendes : ‘Klima und Bodenbeschaffenheit bestimmen die Lebensweise der Völker, und diese — die übrigen Eigenschaften derselben ; Beispiele zu solchen Veränderungen bietet zur genüge die Völkerkunde. Zur Beleuchtung der Sache will ich die Samojeden erwähnen : wie diese Bewohner der Eismeerküsten leben, ist jedermann bekannt ; und dieses Volk — ist doch eins mit den Sojoten im Gebirge Sajan (ein Teil des Kleinen Altai), einem tapferen Reitervolke, das in seiner Lebensweise sich in nichts von den Mongolen unterscheidet, deren Nachbar es auch ist, und mit denen es, als chinesischer Untertan, auch unter denselben Fahnen steht. Die Verbreitung der Samojeden vom Altai bis ans Eismeer, längs des Jenissei-Flusses, weist an dessen Ufern überall erkenntliche Spuren auf, und noch sind hier verstreut kleinere Samojeden- oder Sojoten-Horden zu finden. — Dies kann als ein lebendiges Beispiel der Verbreitung und Verzweigung der Völker dienen — und so breiteten sich einst auch die Finnen gegen Norden und Westen, den Lauf des Obi und Irtisch entlang, vom Altai aus, wo ihre Vorfahren, den Sojoten gleich, ein tapferes Reiter- volk gewesen sein mochten. Und warum mochten diese ihre Vor- fahren nicht ein Zweig oder die Brüder unserer Vorfahren gewesen sein, die nach Norden verdrängt wurden, während die unseren ihren Weg mit der Zeit gegen Süden, nach reichen Ländern nahmen ; und wo ihre Weiden aufhörten, dort hörte natürlicherweise auch ihre Viehzucht auf, und der Reiter musste zum Fussgänger werden und mit Jagd und Fischfang seinen Unterhalt erwerben. Ein gleiches Beispiel bieten die Jakuten, nächstverwandt mit den Türken, und unterscheiden sich ebenso von ihnen, wie die Lappen von den Ungarn. Der Unterschied zwischen den Ungarn und Finnen kann ein sehr natürlicher sein — und nur auf diese Wahrscheinlichkeit wollte ich hier aufmerksam machen.
Ich betrat meinerseits ruhig den linguistischen Weg und wollte mir zuerst hier eine feste Grundlage erwerben, bevor ich auf den historischen Teil übergehe, doch begann ich auch diesbezüglich zu sammeln und berücksichtigte alles, was sich darauf beziehen könnte — doch enthielt ich mich jedes Urteils, da das Auge hier nicht sofort unterscheiden kann, sondern dazu das Durchforschen aller Elemente des Volkes erforderlich ist.’
Hier berührt er kurz seine Reise in Finn- und Lappland, dann setzt er weiter fort : ‘Nach meiner Ankunft hier (nämlich in Sankt- Petersburg), hatte ich schon so ziemliche Kenntnisse über die West- Finnen. Meine erste Sorge war nun, über die Ost-Finnen einige Erkundigungen einzuziehen. Von einem tieferen, eingehenderen Wissen kann hier nicht die Rede sein ; es waren nur einzelne Be- richte, allgemeine, aber sichere Ansichten über die Ost-Finnen nötig, um aus dem Aufbau und den Eigenschaften ihrer Sprache zu ersehen, um wie viel näher diese Sprachen der Ungarischen näher stehen, und ob sich die schon aus historischen Gründen herleitbare Annäherung dieser Sprachen zum Ungarischen in dem Masse bewahrheite, als diese Finnen mehr gegen Osten wohnen. — Ich hatte hier nur das Syrjänische und Mordvinische kennen zu lernen Gelegenheit — vom Tscheremissischen ein wenig — und einige Daten über die Wogulen.
Wenn man die westlichen und östlichen finnischen Sprachen ver- gleicht, so findet man, dass sie nicht nur in Formen und Lauten erheblich von einander abweichen, sondern sich auch in zahlreichen Stammwörtern von einander unterscheiden. Diese Unterschiede brachte nicht der neuere Einfluss einer Sprache, vielleicht des Russischen hervor, diese entstammen aus dem Inneren der Sprache und entwickelten sich viele Jahrhunderte hindurch. Lange schon und vor historischen Zeiten geschah die Verzweigung dieser Völker, begann die Entfernung ihrer Sprachen. An den permischen Finnen ist es noch erkennbar, dass sie mit den West-Finnen einer Sprache angehören. Doch wenn man die Wolga- und Jugrischen Finnen betrachtet, so meint man neue Sprachen vor sich zu haben, die man mit ihrem eigenen Eigennamen bezeichnen könnte. Wenn man aber das Ungarische mit in Vergleich zieht, und die östlichen zwischen die westlichen und das Ungarische stellt, so sehen wir zwischen den beiden Weitentfernten ein Bindeglied in ihnen und wähnen ein Ganzes im dreifachen Bilde zu erblicken. Der Abstand der Ost- Finnen ist nur eine Annäherung zum Ungarischen, eine Entfernung von jenen, ein verwandtschaftliches Herantreten an diese. So nun : in ihren Lauten — stehen die Ost-Finnen dem Ungarischen immer näher, als die West-Finnen ; in lexikologischer Hinsicht — sind jene Wurzeln des Ungarischen, die den westlichen fehlen, bei den östlichen vorhanden ; andere Wurzeln der westlichen erscheinen durch die Lautveränderungen, die sie bei den östlichen erleiden, den ungarischen Wurzeln völlig gleich, was man ohne die östlichen, als sehr unsicher, oft nicht zu behaupten wagte ; eine ähnliche Annä- herung zeigt auch die Grammatik in den Veränderungen und Über- gängen ihrer Formen — so dass man mit angenehmer Überraschung jene grösseren Unterschiede, die bisher zwischen dem Ungarischen und den westlichen Sprachen zu bestehen schienen, auf einmal sich ausgleichen und zunichte werden sieht, und wir einen Schlüssel besitzen, mit dem wir nun die sichere Analyse dieser Sprachen beginnen können ... Der Nutzen und die Notwendigkeit, die Ost- Finnen zu kennen, was schon voraussichtlich war, erweist sich also zur Genüge ; und eine Parallele der finnischen und ungarischen Sprache ist ohne sie gar nicht denkbar, nachdem Gyarmathi schon bewiesen hat, dass hier eine Verwandtschaft vorhanden ist, und jetzt müssen wir zur gänzlichen Ausarbeitung der Sache und zur Bestim- mung dessen, was gewiss ist, schreiten, wenn wir Fortschritte machen wollen. — Wie vielen Irrtümern und Fehlern solche philologische Forschungen unterworfen sind, das zeigen viele Beispiele solcher Männer, die in wissenschaftlichen Arbeiten ergraut sind, zur Genüge, und dies ist einem Jünglinge eine ernste Warnung, vorsichtig diesen Weg zu wandeln, sich nie in eine Erklärung einzulassen, bevor er dazu nicht alle Vorbereitung und Vorkenntnisse besitzt. Darum ist vor allem nötig, alle finnischen Völkerschaften insgesamt zu kennen. Wir müssen zuerst die finnischen Sprachen untereinander vergleichen, aus den verschiedenen Entwicklungsgängen ein und desselben Stoffes die entstandenen Unterschiede und die Mannigfaltigkeit der Ver- änderungen sehen, diese in feste Regeln fassen. Wir müssen die Veränderungen der Laute sehen, wir müssen aus der Übersicht der Formen ihre genetische Entwicklung und ihre natürlichen Abwei- chungen sehen, wir müssen die Eigentümlichkeiten dieser verschie- denen Sprachen sehen und in die Eigenart dieser ganzen finnischen Sprachenfamilie tiefer eindringen, und dann versuchen, ob es möglich ist, diese Regeln, nach denen die jetzigen finnischen Sprachen ent- standen sind, auch auf das Ungarische anzuwenden, und mit ihnen seine Abweichungen von den finnischen Sprachen zu erklären. Denn wenn unsere Sprache finnischer Abstammung ist, dann hat sie sich nach derselben Art, nach derselben inneren Kraft entwickelt, wie die finnischen Sprachen, und wird in ihren Elementen mit ihnen übereinstimmen. Wenn wir nun eine Grundlage gewonnen haben, dann können wir uns mit jener einzelnen finnischen Sprache befassen, die dem Ungarischen in den meisten Punkten entspricht, dem Ungarischen vergleichbar ist, und dann können wir daraus jenen Nutzen ziehen, jene Aufklärungen gewinnen, die in der Pflege unserer Sprache ohne Zweifel von sehr nützlicher Hilfe wären. Dann stehen wir zugleich auf dem Grunde der historischen Forschung und auf diesem Punkte können wir durch Vermittlung jener einzelnen Schwestersprachen mit den finnischen Völkern in eine historische Verbindung treten und dadurch auf ältere Zeiten zurückgehen. Auf diese Weise könnten wir Ergebnisse erreichen, die aus nationalem Interesse so sehr wünschenswert wären, und so wäre es möglich, der ungarischen Altertumsforschung eine Grundlage zu schaffen, auf der es schon leichter wäre, weiter fortzuschreiten und weiter zu bauen.
Aus der Erörterung der Frage würde so erhellen, ob wir wirklich einsam und ohne Verwandte hier auf dem weiten Erdenrunde stehen, als alleiniger Überrest eines verschwundenen Stammes, oder ob noch unbekannte Verwandte vorhanden sind. Zum wenigsten steht eines fest : wenn wir hier keine Verwandten finden, so werden wir sie anderswo nimmer finden. Ich behaupte dies nicht ohne Über- legung ; ich habe alle die verschiedenen Hypothesen untersucht, an denen es hier wahrlich nicht mangelt ; wenn diese Arbeit von Nutzen war, so ist es gewiss der, dass ich mich nun mit umso grösserem Vertrauen den Finnen zuwende. Jene Verwandtschaft, welche zwischen den mittelasiatischen Sprachen (Türkisch, Mongolisch, Mandschou) besteht und unter die auch die finnische und ungarische Sprache gerechnet wird, ist zwar begründet, doch nicht befriedigend, weil das nur Klassenverwandtschaft ist und darnach wieder die Frage auftaucht : zu welchem dieser Völker gehören also die Ungarn? Ich berücksichtigte aber diese Behauptung, und um wenigstens von mir den Vorwurf der Einseitigkeit abzuwenden, befliss ich mich der türkischen Grammatik, verglich auch das Mongolische und trachtete über diese Völker auch gute und sichere ethno- graphische und historische Aufklärungen zu gewinnen. Doch diese Verwandtschaft beweist nichts anderes, als dass wir ein asiatisches Volk sind, was niemand bezweifelt. Innigere und nähere Bande knüpfen uns an die Finnen. Zwischen den Völkern des Kaukasus und den Ungarn kann von Verwandtschaft auch nicht mehr die Rede sein, da nach den Untersuchungen so vieler Gelehrten, neuerdings Sjögrens, der die ungarische Sprache gut erlernte und kannte, sich nicht die geringste Spur von Verwandtschaft erwies. Und wie lange wollen wir noch solch unklare Pfade verfolgen, auf solch schattenhafte Verwandtschaft bauen! Wir lassen unsere Blicke überallhin schweifen, nur dort, wo sich sicherer Grund bietet, dort wollen wir nicht anfangen! Wie lange suchen wir schon unseren Ursprung! und wie weit sind wir gelangt! Die einzige Ursache ist unser nationaler Stolz. — Mit der Zeit, wenn die Kenntnisse dieser finnischen Völker weiter fortgeschritten sein werden und wir ihre Verhältnisse klarer sehen werden, dann werden wir vielleicht keine Ursache haben zu erröten, was wir auch jetzt nur dann könnten, wenn wir unsere eigenen Taten vergessen hätten. Von alter Ge- schichte, Heldentaten der Finnen wissen wir jetzt noch nichts — doch ist es wohl denkbar, dass ein Volk, welches einst das ganze russische Land, vom Eismeere bis zum Schwarzen Meere bewohnte, dass ein so zahlreiches Volk nicht grössere, ruhmvollere Taten vollbracht hätte, als jetzt die Lappen und Ostjaken? Tapferkeit ist nicht Eigentum einzelner Völker, ein jedes Volk auf der Erde ist tapfer, wenn die Zeiten darnach sind, dass sie von Begeisterung und Be- gierde nach Taten durchdrungen werden : und solche Zeiten können wir auch den Finnen nicht absprechen. Es gibt genug Völker in der Geschichte, die aus den Gegenden des Urals gekommen sind, grosse Kriege führten und deren Ursprung uns unbekannt ist ; da werden wir noch zu tieferer Einsicht gelangen, wenn wir die Ost-Finnen besser kennen gelernt haben ; da werden wir ihre Geschichte finden. — Und in den gegenwärtigen Untersuchungen der Gelehrten ist von den Finnen schon die Rede. Jene, die Frähn während seines Aufent- haltes in Kasan kennen lernte, hält er für die Nachkommen der Chasaren ; dass aber die Wolga-Bulgaren grösstenteils aus finnischen Völkerschaften bestanden, darüber lassen uns die neueren For- schungen gar nicht in Zweifel...’
‘Wie weit ich mich meinem Ziele genähert habe, habe ich der Akademie vorgelegt. Wenn es möglich wäre, würde ich jetzt geradeaus in den Ural reisen, um die Sprache der Wogulen, und danach der Ostjaken zu erlernen. Über diese Völker wissen wir sehr wenig, doch was uns bekannt ist, scheint sowohl in grammati- kalischer, als auch in lexikologischer Hinsicht von grösster Wichtig- keit zu sein ...’
‘So wäre der philologische Teil der Frage abgetan und käme der historische ; darin scheinen eben wieder die Wogulen das meiste Interesse zu bieten. Von ihren Nachbarn, den Syrjänen, haben sie den Namen Jögra erhalten, der lebhaft an den alten Namen Ugor oder Jugor erinnert ; wenigstens kann ihn der Russe, der den Laut ö nicht besitzt, nur so aussprechen. Nach diesem Jögra-Volke wurde nun das ganze Gebiet, welches sie bewohnten und bewohnen, einst Jugria benannt. Doch es muss auffallen, dass die Russen auch die Ungarn Jugri nennen, wo doch die morgenländischen Völker unseren Namen als Madzsar kannten ! Könnte dieses jetzige (nach syrjänischer Aussprache) Jögra und das alte Jugri nicht ein Name sein? wie auch Mansi, die Selbstbenennung der Wogulen, die Wurzel des Namens Magyar ! — einer Untersuchung wäre dies gewiss wert. In historischer Hinsicht ist vor allem die Geographie der Wohnsitze dieses Volkes nötig. Es wäre also eine eingehende Untersuchung der Gau- und Ortsnamen erforderlich, um darnach, je nachdem diese aus der einen oder anderen Sprache stammen, die frühere Ausbreitung und die Wohnsitze der Völker zu beurteilen. Ich hätte daher die Absicht, die südwestlichen Teile Sibiriens und das Uralgebiet zu bereisen, bis ich dort an Ort und Stelle in dieser Sache Näheres entscheiden könnte . . .’
Ich habe mich vielleicht lange bei diesem Gegenstande aufgehalten, doch es diene mir zur Entschuldigung, dass ich es für nötig gehalten, die wichtigeren Punkte des Berichtes im Wortlaut anzuführen, weil dies eigentlich Regulys erstes wissenschaftliches Glaubensbe- kenntnis ist. Hier tritt seine seltene Individualität am deutlichsten hervor.
Die Ungarische Akademie der Wissenschaften entsandte zur Prüfung von Reguly’s Plänen einen engeren Ausschuss. Dieser Ausschuss billigte mit allgemeiner Zustimmung den ‘Bericht ‘und beantragte dem Direktionsrate die Übernahme von sämmtlichen Auslagen Regulys. Die gute Absicht musste aber an den beschränk- ten Geldverhältnissen der Akademie Schiffbruch leiden. Der Präsident konnte nur einen kleineren Geldbeitrag in Aussicht stellen, doch er beantragte zugleich, durch Vermittlung des Palatins auch vom Hofe für Reguly Reisegeld zu erbitten.
Kurz nachdem Reguly seinen Bericht in Peterhof verfasst hatte, wohin er sich aus der Hauptstadt zur Herstellung seiner Gesundheit zurückgezogen hatte, fiel er infolge einer Erkältung in ein Nerven- lieber, welches sogar sein Leben mit ernster Gefahr bedrohte. Die liebende Fürsorge, mit der Frau Balugyánszky den Landsmann ihres Gemahls pflegte und die ärztliche Wissenschaft retteten ihm sein Leben, konnten ihm jedoch seine Gesundheit nicht wiedergeben. Diese Krankheit dauerte bis zu seinem Tode.
Kaum war er hergestellt und begann zu seinen Studien zurück- zukehren, da erhielt er den Beschluss der Akademie, der seine Hoffnung auf eine vaterländische Hilfe zunichte machte. Bisher hoffte er immer, er hielt fest daran, dass sein Unternehmen zu Hause mit vollster Teilnahme begleitet wird. Jetzt musste er aber einsehen, dass er sich auf die Beihilfe seines Vaterlandes kaum verlassen dürfe, so wenig Hoffnung wurde ihm diesbezüglich geboten. Seine russi- schen Freunde, besonders der seelengute Baer, wendeten alles an, um ihm seine sibirische Reise zu ermöglichen. Aus Baers Feder erschien im 1842. Jahrgange der Petersburger Zeitung (Nr. 233 und 236) ein Artikel, in dem er Regulys Schicksal mit dem von Csoma de Kőrös vergleicht.6 Auch dieser wird von der ungarischen Nation vernachlässigt, die doch reiche Magnaten hat. Csoma de Kőrös konnte nur mit Unterstützung der Engländer seine wissenschaftlich unschätzbaren Forschungen durchführen, Reguly wird wahrschein- lieh auch auf die Russen angewiesen sein.
Der Artikel verfehlte auch nicht seine Wirkung. Es las ihn die Grossherzogin Helene, die Gemahlin des Grossherzogs Michael, die für die Wissenschaften grosse Vorliebe hegte. Sie wünschte den ungarischen Forschungsreisenden zu sehen, den ihr Baer auch vor- stellte. Sie erkundigte sich lebhaft nach Regulys Unternehmen, fand es edel und aller Unterstützung würdig, versprach auch ihren eigenen Beistand. Wirklich empfahl sie ihn dem Fürsten Anatol Demidov, der eben zu der Zeit eine grössere wissenschaftliche Unternehmung plante, um damit die Gunst des Hofes zu gewinnen. Fürst Demidov fand aber Regulys Plan für seinen Zweck nicht grossartig genug, und ersuchte Baer, ihm einen grösseren Plan zu verfertigen. Da brachte Baer die Erforschung aller nichtslavischen Völker Russlands in Vorschlag, deren einen Teil, die Bereisung der ugrischen Finnen, er Reguly anzuvertrauen empfahl.7
Zur selben Zeit bot sich Reguly eine noch sicherere und seinen Zwecken mehr entsprechende Aussicht bei der Petersburger Aka- demie. Diese betraute nämlich 1842 Sjögrén mit einer neueren Durchforschung und Klassifikation der sibirischen Völker. Sjögrén wäre geneigt gewesen, diese grosse Arbeit in Vereine mit Castrén und Reguly zu vollführen. Als sich dann Sjögrén später aus Gesund- heitsrücksichten zurückzog, wollte er an seiner statt der Akademie Reguly empfehlen, und forderte ihn auch zur Ausarbeitung einer Abhandlung auf, um damit seinen Vorschlag zu begründen. Reguly war schon beinahe geneigt dazu, weil er seinen schönsten Plänen nicht entsagen wollte, doch eine unerwartete Wendung von Seiten der Ungarischen Akademie der Wissensch, verwandelte den russi- schen Reise-Kandidaten wieder in einen ungarischen Reisenden. In der Jahressitzung (November des Jahres 1842) nämlich nahm sich Graf Stefan Széchenyi der Angelegenheit Regulys im Direktionsrate sehr warm an. Es wurden daher, sobald es der Kasse möglich wäre, 1000 Gulden, in zwei Teilen sendbar, ausgesetzt, der vom Hofe erhoffte Hilfsbetrag war auch in Aussicht gestellt. Die Nachricht dieses Beschlusses empfing Reguly im April 1843.
Seine Freude war unbeschreiblich, mit erneuerten Kräften setzte er seine Vorbereitungen fort. Aber die versprochene Hilfe blieb noch immer aus, die Verzögerung hielt ihn in peinlicher Ungewissheit ; als er dann hörte, dass die königliche Unterstützung nur aus 300 Gulden Schein bestehen wird, ergriff ihn die völligste Verzweiflung und er wandte sich an Baer, seinen väterlichen Gönner, um eine Anleihe, um in sein Vaterland zurückzukehren. Dieser edelmütige Mann war über den Entschluss des jungen Gelehrten bestürzt, schmerzlich sah er die schönen Hoffnungen, die er an dessen Unter- nehmung geknüpft hatte, zunichte werden. Er verweigerte ihm die Anleihe, doch nur zur Heimreise ; er gewährte sie ihm aber herzlichst, wenn er ins Uralgebiet reisen und wenigstens kurze Zeit unter den Wogulen seine Studien weiterführen wollte, um der Welt wenigstens zu beweisen, welche Ergebnisse er unter günstigen Verhältnissen erreichen können hätte.
Reguly entschloss sich. Am 9. Oktober 1843 verliess er Sankt- Petersburg und nahm seinen Weg nach dem Ural. Beinahe zu gleicher Zeit wurde auch der Hilfsbetrag der Akademie abgesendet, doch er traf Reguly nicht mehr in Petersburg.
Als er die Newastadt hinter seinem Rücken hatte, atmete er sozusagen auf — er näherte sich immer mehr seinem Ziele. Aus Moskau, wohin er auf der damaligen Fahrgelegenheit, der Diligence reiste, schreibt er am 17. Oktober an Baer : ‘Sie haben mir eine überaus grosse Wohltat angedeihen lassen, dass Sie mich aus Sankt- Petersburg entfernt haben! Mit jedem Schritte, der mich von dieser Stadt weiterführt, fühle ich mich freier und stärker. Mein Kopf ist klar und leicht, mein Auge wie das eines lange blind Gewesenen, der wieder das Sonnenlicht erblickt! ‘In Moskau bringt er nur drei Tage zu. Von den hiesigen Gelehrten besuchte er zwei, Pogodin, den bekannten russischen Historiker und Spasskij, den berühmten Herausgeber der ‘Antiquitates Sibiricae’, der zwölf Jahre in Sibirien gewohnt und besonders über die dortigen tschudischen Hügel und Altertümer reiche Erfahrungen gesammelt hatte. Von hier aus setzte er über Nischnij Nowgorod seine Reise nach Kasan fort, die mit der Annäherung finnischer Völker immer bedeutsamer wurde ; ihre Grenze erreichte er am Sura-Flusse, von wo er dann durch lauter tscheremissische, tschuwaschische und tatarische Dörfer bis nach Kasan reiste, wo er am 27. Oktober ankam. Sehr anregend war auf seiner Reise ein tscheremissischer und ein tschuwaschischer Markt ; den ersteren hatte er in Novi-Sundir (35 Werst vor Tscheboksar), wo die berühmten Kasaner Eichenwälder beginnen, Gelegenheit zu sehen, den zweiten einige Werst über Tscheboksar im sogenannten Schimeg-Bazar. Unterwegs begegnete er vielen Tscheremissen, die auf ihren Wägelchen oder zu Pferde ihrem Marktorte zueilten.
Seit die russische Regierung ihr Augenmerk auf die Bekehrung der verschiedenen finnischen Völker gewendet hatte, wurde Kasan zum Mittelpunkte der tschuwaschischen und tscheremissischen Sprachwissenschaft, die hier in Seminarien vorgetragen wird. Reguly war überzeugt, dass er hier über diese Sprachen schon fertige Arbeiten finden werde, die auch die europäische Wissenschaft benützen können wird. Wirklich bekam er über vier verschiedene lexikalische Werke Nachricht, die unbeachtet in Handschrift dalagen ; drei davon tscheremissisch (ein altes, aus dem vorhergehenden Jahrhunderte, die anderen zwei neuere, und zwar eins im kosmodem-janskischen, das andere im zarewischen Dialekte) und ein tschuwaschisches.
Er muntert die Priester zur Arbeit an, aus diesen beiden Sprachen Material zu sammeln, auf seiner Rückkehr werde er dann mit ihnen an die Bearbeitung gehen. So, dachte er, wäre das Material zur Vergleichung der ungarischen und finnischen Sprache in kürzester Zeit zu sammeln.
‘Dies wird sowohl auf unsere Sprache, als auch auf unsere Geschichte und auf alles, was wir nationale Wissenschaft nennen, von unschätzbaren Folgen sein — schreibt er am 7. November 1843 an Toldy —. Solange wir durch das Dunkel dieses Gegenstandes nicht durchgedrungen sind und hier kein Licht geschaffen haben — setzt er in seinem angeführten Briefe fort — solange können wir auch keine wirkliche nationale Wissenschaft besitzen. Welche verschie- denen Keime slavischer, byzantinischer, deutscher, italienischer u. s. w. Bildung es sind, die unsere heutigen ungarischen kulturellen und sozialen Formen hervorgebracht haben, darüber haben wir bisher wenig nachgedacht ; doch welche die Elemente sind, welches das Mutterland ist, aus denen sich jene rohen Samen zu ihren heutigen fruchttragenden Formen entwickelt haben, was also jenes wahre, ursprüngliche Magyarische ist, davon haben wir bisher noch weniger träumen können, weil das unseren wissenschaftlichen Umständen zufolge bisher unser Verständnis überstieg. Die Deutschen bahnten hier vor nicht langem der Forschung einen neuen Weg, und unser Sinn wagt die grossartigen Dinge nur zu ahnen, die in der neuent- deckten wissenschaftlichen Welt unser warten. Wir Ungarn, die wir mit so seltener und edler Opferwilligkeit einem reiferen und gebilde- teren nationalen Leben zustreben, wir dürfen nicht säumen, diesen Spuren zu folgen und aus unserer Sprache uns selbst und unsere Geschichte kennen zu lernen! Erwägen und ermessen wir wohl unsere Wege, auf denen wir zu unserem Ziele gelangen wollen ! Und wir werden es zugeben, dass der Weg zu unserer Selbsterkenntnis auch der Weg ad sapientiam ist. Wenn wir einmal aufhören uns selbst ein Rätsel zu sein, dann wird zugleich auch der Nebel auf- hören, der bisher unsere Augen vor der Erkenntnis des Wahren umfing...’
Unter den Gelehrten von Kasan war Kowalewski, der grosse mongolische Sprachforscher, von grösstem Einflusse auf ihn. Mit wahrer Gastfreundschaft empfing dieser den jungen Reisenden, bereitwillig zeigte er ihm alle seine Sammlungen und alle seine Arbeiten, die er begonnen hatte. Damals Hess er sein mongolisches Lexikon neuerdings drucken, dessen Hälfte in einer Feuersbrunst zugrundegegangen war. Doch ist auch seine grosse mongolische Geschichte im Werden, die auch die Geschichte der Hunnen, Türken umfassen wird. Reguly besuchte auch das Haus des pensionierten Universitäts-Professors Fuchs, dessen Gattin im Jahre 1840 ein wertvolles Werk über die Tscheremissen und Tschuwaschen heraus- gegeben hatte. Nach zweiwöchentlichem Aufenthalte nimmt er (am 8. November) von seinen Bekannten in Kasan Abschied und setzt seine Reise fort, und zwar bis Malmiš, auf dem wohlbebauten Ge- biete der Tataren, dann durch das Gouvernement Vjatka beinahe bis zur permischen Grenze zwischen Wotjaken. Hier lernte er zwei Dialekte der wotjakischen Sprache unterscheiden : den sarapaulisehen und glasowischen. Auch hier trachtete er die Priester zur Arbeit anzuspornen ; zu diesem Zwecke besuchte er den Geistlichen von Döbesch, der auch eine wotjakische Grammatik geschrieben hatte. Dieser versprach ihm, ihn bei Gelegenheit seiner Rückreise mit einem, aus einigen tausend Wörtern bestehenden Verzeichnisse zu erfreuen. Der andere Geistliche, der das Evangelium Matthäi ins Wotjakische übersetzt hatte, wohnte in Sumsi ; diesen suchte Reguly auch auf, doch ohne viel Erfolg, da er ihn in trunkenem Zustande fand. An der permischen Grenze hören die Wotjaken auf und beginnen die Bäsch- kiren, die schon nach der Art der Tataren in Dörfern wohnen.
In der Stadt Perm verbrachte er im gastfreundlichen Hause des Gouverneurs eine Woche. Zu dieser Zeit befasste er sich vorzüglich mit dem Studium der geographischen und ethnographischen Verhältnisse im Gouvernemente. Auf die Verordnung des Gouverneurs verfassten die Beamten das Verzeichnis der Ortsnamen im permischen Gouvernement, in welchem die Bevölkerung ihrer Sprache und Nationalität nach dargestellt war. Auf diese Weise erhielt Reguly reichliches Material zu seiner ethnographischen Landkarte.
Von Perm reiste er über Solikamsk nach Ussolje, von seiner Salzsiederei berühmt, wo er sich bei Wolegov, dem Direktor der Siederei vier Tage aufhielt. Dieser beschenkte ihn mit einem 4000 Wörter enthaltenden permischen Lexikon ; wie er auch von ihm wertvolle Aufklärungen über die ethnographischen Verhältnisse der Permier und der Geschichte dieses Gebietes erhielt. Den Protopopen von Solikamsk, der die permischen Sprachen sehr gut kannte, fand er nicht zu Hause, hinterliess ihm aber bei seinem Sohne Fragebogen. Nach zweitägiger Reise erreichte er den Ural, überschritt ihn glücklieh am 4. Dezember und hielt in Werchoturje, das auf den Ruinen einer alten wogulischen Burg erbaut ist, an. Hier suchte er im Archive nach Daten über die Geschichte der Wogulen, konnte aber der grossen Unordnung wegen dasselbe nicht durchforschen ; man versprach aber, sie ihm auf seiner Rückreise zugänglich zu machen. Umso günstiger wurde er in Bogoslowsk vom Bergdirektor Protosov empfangen, der längere Jahre Vorstand der Kommission war, die zur Suche nach Goldsand in den Ural entsendet war und die von 1829 an beinahe alljährlich bis zum Sertan, einem Nebenflusse der Sinja, Streifzüge zu machen pflegte. Auf diesen Ausflügen wurden auch kartographische Aufnahmen gemacht. Reguly fand hier eine Menge der schönsten Landkarten, die er aus Gefälligkeit Protosovs in Kopie auch erhielt.
Von hier ging er nach Wsewolodo-Blagodatzkoe, wo er auf Geheiss des Gutsdirektors der Familie Wsewolodskij, des Senators Borowkov der besten Verpflegung teilhaftig wurde. Hier begann er nach kurzer Rast seine wogulischen Studien, mit Hilfe zweier alten Wogulen, Jurkina und Pachtjar, die die Gutsverwaltung (am 19. Dezember) von der Loswa-Gegend holen liess. Jurkina musste in Familien-Angelegenheiten nach einigen Tagen in sein Dorf zurückkehren, Pachtjar aber blieb treu an Regulys Seite. Die Laune und Geduld des guten Alten waren unerschöpflich, in seinen Antworten war er ebenso undermüdlich, wie Reguly in seinen Fragen und AufZeichnungen. Der redselige Alte eröffnet Reguly bald die reiche Volksdichtung der Wogulen und von Morgen bis Abend verbringen sie in fleissiger Arbeit die Zeit.
‘In der wogulischen Sprache — schreibt er an Baer — habe ich ziemliche Vorschritte gemacht, ich beginne mich in ihr zu orientieren und sie auch schon zu plappern. Mit der ungarischen Sprache hat sie so eine Verwandtschaft, dass der finnische Ursprung der Ungarn nun über allen Zweifel erhoben sein wird und eine wissenschaftliche ungarische Sprachforschung nun möglich sein wird. Auch giebt es sehr interessante Winke zur Etymologie der flnnländischen Sprache und wird daher für den ganzen Finnicismus eine grosse Wichtigkeit haben. In lexikalischer Hinsicht gehen meine Arbeiten gegen 2600 Worte, in grammatischer Hinsicht habe ich auch für jeden einzelnen Redetheil schon ziemlich gesammelt.
Über meinen Lehrer Baktjiar kann ich nicht genug Lob sagen, er hat die Geduld von Morgen bis Abend zuweilen mit mir zu sitzen und ist mir so zugetan und mit so viel Zutrauen gegen mich, dass ihre Mythologie und Ritus vielleicht kein Geheimnis mehr besitzt, welches er mir nicht mitgeteilt hätte. Wie er übrigens verdienstvoll für mich ist, so ist er auch ausgezeichnet unter seinem Volke, er ist bei ihnen Sänger (pewetz) und fungirt auch häufig bei ihren Pferdeopfern, die sie noch jährlich halten, als Priester. Diese zwei Eigen- schaften sind mir wieder eine reiche Quelle wissenschaftlicher Ausbeute. Ich habe von ihm bis auf 20 Bogen verschiedene Gesänge, Gebete und Lieder geschrieben, die, wie sie für das Leben und den geistigen Zustand dieses Volkes von höchstem Interesse sind, so auch in sprachlicher Hinsicht einen grossen Werth haben, indem in ihnen zuweilen eine Sprache vorkommt, die nun nicht mehr gebräuchlich ist und die Herr Baktjiar selbst nur nach vielem Nachdenken erklären kann ... und über die er mir bis jetzt eine sehr oberflächliche Erklärung gab. Ihre Dichtung kann in Heldengesänge. Bärengesänge und lyrische Lieder eingetheilt werden, und in eine vierte Abteilung können ihre Hymnen und Gebete gebracht werden. Ihre Helden gehen häufig in Eisen gekleidet, tragen Eisen- oder Drahthemde, Helme, Lantzen etc. Ihre Bärengesänge werden bei ihren Bärenfesten, die drei Tage für jeden erlegten Bären gefeiert werden, gesungen ; ich habe 6 derselben geschrieben, von denen 2 über einen Bogen lang sind ; das siebente und letzte oder das Begrabungslied, welches Baktjiar nicht weiss, werde ich bei meiner Ausfahrt nach der Lozva bei Jurkina niederschreiben. Das erste dieser Bärengesänge handelt über die Erschaffung der Welt, der Menschen, der Thiere und endigt mit der Geburt des Bären. Das zweite hat ihr Thema von einem Bären- schwur, den ein Weib gemacht hat, und der in Erfüllung geht. – Das dritte über einen berühmten Bärenjäger, der so ein ausgezeichneter Bogenschütze war, dass er einen Pfeil, den er in die Luft schoss, mit drei anderen Pfeilen durchbohrte, während er zu Boden fiel, und der 99 Bären erlegte, von dem 100-ten aber zerissen wurde etc. Auch habe ich ein Lied über den Teufel geschrieben, wie ihn Gott in den ewigen Sumpf verstösst. In ihren Gebräuchen und Lebensweise zeigen sie eine frappante Ähnlichkeit einerseits mit den Lappen, andererseits mit den Tscheremissen und Wotjaken, dass ein richtiges Bild über den alten Culturzustand des ganzen finnischen Volkstammes nicht zu den schwierigsten Aufgaben gerechnet werden kann.’8
Von Wsewolodskoe aus, das unter dem 61. Grade nördlicher Breite zwischen den Läufen der (südlichen) Soswa und des Iwdel liegt, machte Reguly häufige Ausflüge in das Gebiet der Loswa. Während seinen wogulischen Studien machte er topographische Aufnahmen von den Nebenflüssen der Loswa. Die Wogulen beginnen sich für den fremden Reisenden, der mit so grossem Fleisse ihre Sprache lernt, zu interessieren. Anfangs begegnen sie ihm mit Misstrauen, machen auch dem alten Pachtjar wegen der Gesänge Vorwürfe, später aber besuchen sie ihn schon sogar, nähern sich ihm mit scheuer Neugierde. Es trifft sich unter ihnen auch einer, der aus der Pelim-Gegend ist, von diesem erhält Reguly wertvolle Mitteilungen über das Volk und die Geographie jenes Landes. Er arbeitet viel, kränkelt auch häufig.
* * *
Am 4. März 1844 verlässt er den Gutsbesitz Wsewolodskoe, eilt nach Irbit, dessen berühmter Jahrmarkt sozusagen ganz Russland und Asien in Bewegung setzt, wo der Forscher der Volksarten sehr bemerkenswerte Beobachtungen anstellen kann. In Irbit begegnet er den Kaufleuten aus Obdorsk und Beresov, die das Pelzwerk vom hohen Norden hieher bringen. Die Mannschaft der Garnison — Baschkiren und MiŽeren — liefern ihm wertvolles anthropologisches Material. Nach fünftägigem Aufenthalte in Irbit setzt er seine Reise über Turinsk, zwischen den Tawda-Wogulen nach Tobolsk fort, wo er am 17. März ankommt.
Nach Tobolsk zog ihn eigentlich der Ruf zweier Männer : Wologodskij war der eine, der an der unteren Ob-Gegend mehrere Jahre das Geistlichenamt bekleidet und sich längere Zeit mit der ostjakisehen Sprache beschäftigt hatte. Vor kurzem hatte er der Akademie von St.-Petersburg ein ostjakisches Wörterbuch eingesandt (welches ihm aber zur Verbesserung zurückgesendet wurde). Der andere war Satigin, der Sohn des letzten kondaischen Fürsten, der russische Erziehung genoss und zur Zeit kaiserlicher Oberlehrer in Tobolsk war. Wologodskij, der vor zwei Monaten nach Petropawlowsk ver- setzt wurde, traf er nicht mehr an. Der freundliche Bischof von Tobolsk erbietet sich zwar, Wologodskij aufzufordern, er möge sein ostjakisches Wörterbuch für Reguly abschreiben lassen, doch Reguly lehnt diese Gefälligkeit dankend ab, da er über Wologodskijs ostjakische Sprachkenntnisse hier ungünstige Urteile hörte, und den Besitz eines schlechten Werkes eher für schädlich, als für nützlich hielt. In Satigin, der ihm seine wogulischen Übersetzungen schenkte, lernte er einen sehr liebenswürdigen Mann kennen, der aber von den uralten Überlieferungen seines Volkes sozusagen garnichts mehr kannte, ja sogar auch die Sprache zu verlernen begann. Hier begegnete Reguly Castrén, mit dem er einen Tag verbrachte. Castrén brach den anderen Tag auf, Reguly begleitete ihn ein Stück ausser der Stadt und nahm hier am 25. März Abschied von ihm. Nach zwei Tagen setzt auch Reguly seine Reise fort. Am Irtysch-Ufer gelangt er bis Demjansk, von hier geht er ins Konda-Gebiet. In der Kirchengemeinde Boltscharowo lernt er die Konda-Ostjaken kennen, deren Wohlstand, welcher sich in geschmackvoller Kleidung und gut eingerichteten Wohnungen offenbarte, ihn aufs angenehmste überraschte. In Nachratschi gerät er schon unter die Konda-Wogulen. In Jumas begegnet er Popov, der wegen irgend einer Ursache seine Geistlichen-Stelle verlassen und sich hier als einfacher Bauer niedergelassen hatte. Dieser Popov kannte die wogulische Sprache sehr gut, und bot mit seinen Evangelien-Übersetzungen, die er auf Geheiss Peter Felicins, des tobolskischen Protoierej verfertigte, den Forschern der vergleichenden finnisch-ugrischen Sprachwissenschaft wertvolles Material.
In Satigi besucht er die Töchter des letzten konda-wogulischen Fürsten, die Schwestern des tobolskischen Oberlehrers Satigin, die sich mit Landwirtschaft beschäftigten.
Vom oberen Konda-Gebiete geht er bei Saim-paul zum Flusse Pelim (wogulisch Palən), dann zum Vaglja- (wogulisch Vōl’-jä) Flusse über.
Die Bevölkerung der beiden Flüsse empfing ihn unfreundlich, zog sich scheu vor ihm zurück. Es verbreitete sich nämlich über ihn das abergläubische Gerücht, dass ein Mann von der Lozwa-Gegend nach dem Gebiete der nördlichen Soswa hinaufreise, dem unbegrenzte Macht zu Gebote stehe ; er schneide den Menschen nach Belieben die Köpfe ab, hülle sie in Gips und nehme sie in Kisten mit ; acht eisenbekleidete, daher unverwundbare Männer begleiten ihn. Dieses Gerücht regte die Ruhe des einfachen Volkes so auf, dass in Puj-jä-paul die betrunkenen Weiber ihn mit gezückten Messern empfingen. Nur mit schwerer Mühe war er im Stande, sie zu beschwichtigen. Nur gegen Abend beruhigten sie sich, als ihre Männer, um die sie sich ängstigten, heimkehrten. Reguly trachtete übrigens auch mit Geschenken (Glasperlen, Ringen) die erregten Weiber zu besänftigen.
Am Morgen der russischen Ostern kam er in sehr unwirtlichem Wetter in Ober-Pelim an. Dies ist ein Kirchdorf, in dem Russen wohnen, das heisst ein Geistlicher, Kirchendiener, und einige russische Krämer ; das wogulische Dorf liegt etwas weiter entfernt. Den anderen Tag reiste Reguly mit Pachtjar wieder gegen Norden, nach Vafp-paul ab, musste aber des starken Schneegestöbers wegen in einer Entfernung von 42 Werst nach Ober-Pelim zurückkehren. Die erfolglose Reise erweckte in Pachtjars Seele grosse Unruhe und Angst. Er sah im wilden Sturmwetter den Fingerzeig des mächtigen Paləmtāram (Gott von Pelim), er trachtete auch seine alte Schuld abzutragen. Reguly war es vergönnt, eines grossen wogulischen Pferdeopfers Zeuge sein zu können, wovon er Baer (am 21. April 1844) folgendes schreibt :
‘Zurückgekommen nach Werch-Pelim bereiteten wir uns nun zu einer wogulisch religiösen Feier. Des Numi Tărom mächtiger Sohn Pălm Tărom (Pelimer Gott) ist ein gütiger Erhörer der Leidenden und Bittenden. Zu ihm betet man und zu ihm steigen Gelübde nicht nur am Pelim, sondern auch an der Lozwa und Konda, und sogar an der nördlichen Soswa. So war ihm auch mein Baktjiar verbunden für die Wohlthat, dass er ihm vor zwei Jahren von einer schweren Krankheit befreitete : das Gelübde war ein Pferde-Opfer, doch gestattete bis jetzt dessen Vollbringung die Armuth des Mannes nicht. Ich kaufte also nun ein Füllen (ein Füllen ist ja auch ein Pferd) von einem Wogulen und wir fahren den 29. März nach Pegun paul zu dem alten Nyăit (zauberer, priester — das finnische noita). Der wahre Sitz des Pălm tărom ist eigentlich bei dem Târlă Dorfe an der Pelim Mündung in dem turnen, einem Birkenhaine, wo er während des Opfers auf einem ungewöhnlich starken Birkenast — der an Dicke fast seinen Stamm überbietet — sitzt, und hier wurden früher ihm die Opfer gebracht. Seit mehreren Jahren aber ist dieser Dienst nach dem Pegun Dorfe, zwei Werst von hier, versetzt, indem die Strasse nach Pelim dem Haine vorbeiführt und der Dienst daher ohne Störungen nicht leicht verrichtet werden kann. Nachdem wir nun auf dem Schangur (wogulisches Instrument) dem Gotte seine Anrufungshimne vorge- spielt haben, wurde nach allen Zeremonien das Thier geschlachtet, gekocht und gespeist und so dass Opfer vollbracht. Den andern Morgen traf ich mit meinem geweihten glücklichen Baktjiar in Pelim ein.’
Pelim war einst ein befestigter Ort, in seiner hölzernen Festung hausten einige hundert Kosaken. Nachdem aber die Unterwerfung der Wogulen beendet war, überliess man die Feste dem Verfalle, dem Ruin. Am Ufer des gleichnamigen Flusses, das Reguly so freundlich fand, sannen im XVIII. Jahrhunderte zwei allmächtige, russische Staatsmänner (Biron und Münich) über die Wandelbarkeit des Schicksals nach, das sie von höchster Stufe hieher, in die Verbannung, verschlug. Dieser historisch merkwürdige Ort schrumpfte zu Regulys Zeit schon zu einer aus einigen baufälligen Hütten bestehenden Ortschaft ein. Reguly blieb länger als zwei Monate hier. Solange das Frühlings-Tauwetter den Verkehr nicht vereitelte, machte er kleinere und grössere Ausflüge nach den Flussgebieten der Lozwa, Konda und Soswa. Er sammelt den wogulischen Sprachvorrat, versucht ihn womöglich zu ordnen, zu verarbeiten. In der Bearbeitung nimmt er die Werke des deutschen Sprachgelehrten Karl Friedrich Becker (geb. am 14. April 1775, gest. am 4. September 1849) zur Grundlage. Dieser Sprach-Philosoph betrachtete, der damals schon aufblühenden historischen Anschauung entgegen, die Sprache als einen logischen Organismus und glaubte nach der Weisung der Gedankenformen und ihres sprachlichen Ausdrucks eine allgemeingültige Grammatik verfassen zu können. Dies versuchte er auch und zwar nicht erfolglos in seiner ‘Deutschen Grammatik.’ Auf Reguly war sein Werk ‘Organismus der Sprache’,das 1841 schon in zweiter Auflage erschienen war, von bedeutender Wirkung. Doch kannte er auch seine anderen Werke. Die sind heutzutage sozusagen schon gänzlich veraltet, es gab aber eine Zeit, wo sie auf die moderne und klassische Linguistik deutscher Schule grossen Einfluss ausübten. Es ist von Reguly ein kleiner grammatikalischer Abriss vorhanden, den er noch während seiner sibirischen Reise verfasste und in dem er, wie ich bemerke, Beckers Theorie treulich befolgt; später aber, wie aus einem Briefe erhellt, huldigt er ihm, wegen der Inconsequenz seines grammatikalischen Systemes, nicht mehr.
Zur selben Zeit befleisst er sich auch geschichtlicher Studien. Mit grosser Ausdauer forscht er in der Vergangenheit dieses Gebietes, von dem schon Herberstein folgendes schreibt : ‘Haec est Juharia, ex qua olim Hungari progressi, Pannoniam occuparunt...’ Des öfteren liest er Lehrberg’s lehrreiche Abhandlung, in der dieser früh verstorbene Gelehrte (geb. am 7. August 1770 zu Dorpat, gest. den 24. Juli 1813 zu Sankt-Petersburg) auf Grund seiner historischen Untersuchungen die Lage des alten Jugrien genau bestimmt. ‘Das alte Jugrien — sagt er — lag nicht an der Küste des weissen Meeres, nicht an der Petschora und Wytschegda, nicht am Jug, überhaupt nicht eigentlich im europäischen Russlande ; sondern es erstreckte sich zwischen dem 56-ten und 67-ten Grade nördlicher Breite vom nördlichsten Ural ostwärts über den unteren Ob bis zu dem Flusse Nadym, der in den obischen Busen fällt, und bis zu dem Agan, der sich oberhalb Ssurgut in den Ob ergiesst ; es gehörten dazu ferner die Gegenden am untern Irtysch, an der Tawda, der Tura und der Tschussowaja ; im Süden wurde es von tatarischen Gebieten begränzt, im Norden von dem Lande der ehemaligen Samojeden ; es war demnach ein nicht unbeträchtlicher Theil des nordwestlichen Asiens, und bestand aus grossen Stücken von dem heutigen tobolskisehen und permischen Gouvernement.’9 Heute wohnen auf diesem grossen Gebiete Wogulen und Ostjaken in geringer Anzahl. Reguly wollte sich davon überzeugen, ob die heutigen Wogulen und Ostjaken die Urbewohner dieses ausgebreiteten Landes sind, oder ob sie erst später eingewandert sind. Darum sammelt er mit emsigem Fleisse die Ortsnamen, da er allein diese für glaubwürdige Zeugen zur Entscheidung dieser Frage betrachtete.
Inmitten seiner Arbeiten stören ihn auch hier sehr schmerzlich die materiellen Sorgen. Als er in Wsewolodo-Blagodatzkoe (am 15. Februar 1844) die 330 Silberrubel erhielt, die ihm Baer, nach Abzug der Verschüsse, von der königlichen Unterstützung (1000 Gulden) zusandte, glaubte er in seiner Freude mit dieser Summe das ganze Land der Wogulen (Mansithum) erobern zu können. Dieses Geld ging jedoch schon in Pelim zur Neige. Ungeduldig wartete er auf die Unterstützung der Akademie, erhielt sie aber erst nach langem Hin- und Herschreiben in Beresov, was des Postmeisters von Bogoslowsk Schuld war. Er weiss nicht, was der Grund des langen Schweigens, der Verzögerung sein kann. ‘Versuchen Sie sich die Lage zu vergegenwärtigen – schreibt er am 23. April 1844 an Toldy — draussen zu stehen in der endlosen Steppe, zu grossen Aufgaben berufen, zugleich aller nötigen Hilfsmittel beraubt, sogar die persönliehe Sicherheit gefährdet! Zurückkehren kann ich nicht ; dazu fehlt die Möglichkeit ; vorzudringen ist sie auch gering und zweifelhaft : meinen Standort hier aufzuschlagen erlaubt mir die in meinem Plane wurzelnde Notwendigkeit des Fortschreitens nicht’. . .
Darum bricht er auch am 24. Juni von Pelîm den gleichnamigen Fluss hinauf in die Gebiete der nördlichen Soswa und Sigwa auf, wo er die Wogulen in ihrem eigentlichen ursprünglichen Zustande kennen lernen konnte. Den südlichen Wogulen entgegen, bei denen mit der alten Lebensart auch die Sprache schon dem Verschwinden nahe ist, wie es in einigen Gegenden auch schon geschehen ist, hat das Volk hier an diesen Flüssen noch den Urzustand aufrecht erhalten. Die Ursache ist nach Reguly darin zu suchen, dass dieses Gebiet sozusagen nur gegen Osten, das heisst gegen die Soswamün- dung offen ist, gegen Westen ist es vom Ural, gegen Norden und Süden von sumpfigen Hügelreihen geschützt. ‘Das Volk kennt hier — schreibt er — nur Jagd und Fischfang, kleidet sich in Tierfelle, das Pferd wird durch das Renntier und den Hund ersetzt, das Volk opfert den Göttern seiner Vorfahren und ist im Besitze seiner Eigenarten ein ganzer, nicht halber Sohn der Natur : in glücklicher Sorglosigkeit nicht ahnend jene Kämpfe, in denen die Civilisation die südlicheren Brüder verzehrt und die es selbst einst auch uner- bittlich in sich verschmelzen wird.’10
Vor Reguly hatte diese Reise im Sommer noch niemand gewagt. Fünf Tage ruderten seine Leute den Pellm hinauf bis zur Mündung des poser-jā-Baches, wo sich der Pellm auf fünf Meilen dem Laufe des Tãpds-jã nähert. Hier landeten sie, nahmen ihr Gepäck auf den Rücken und gelangten nach dreitägiger, mühsamer Fusswanderung, während der sie oft bis an die Hüften in schwimmendem oder schwebendem Moorlande wateten, in der Richtung von xuləm-paul zum Tapəs-Flusse. Nach kurzer Rast nimmt er von seinen Gefährten Abschied, und geht zur Mündung des Tapəs, wo sich die Fischer schon in grosser Anzahl versammelt hatten. Sie erwarten die Frühjahrswanderung der Fische. Reguly studierte 20 Tage die Sprache dieses Volkes, und begab sich dann die Soswa hinauf zur Sigwa- Mündung. Von hier wandte er sich dem Ural zu, wo er an einem entfernteren Abhänge des kleinen man-jā-Tales Tjobings Herden antraf. Tjobing war weit und breit von seinem Reichtume bekannt, die Zahl seiner Renntiere überstieg fünftausend. Reguly blieb acht Tage in der Gesellschaft Tjobings. Sein gastfreundlicher Hauswirt machte ihn mit grösster Bereitwilligkeit mit den einzelnen Zweigen des Nomadenlebens bekannt, wodurch sein wogulisches Sprachmaterial bedeutend zunahm. Doch noch mehr und ausserordentlich wertvolles Material bekam er durch Tjobing zur Geographie dieses Landes. Tjobing wurde nämlich hier geboren und führte seit seiner Kindheit ein Nomadenleben, und im Ural gab es keinen Fels, keinen Fleck, den er nicht kannte. Weil nun dieser Teil des Urals, besonders aber die noch weiter nördlich gelegene Gegend noch nie von einem gebildeten Reisenden durchgeforscht worden war, so entschloss sich Reguly, seinen Weg gegen Norden auf dem Gebirge selbst weiter fortzusetzen. Nur dann stieg er herab, als auch die umherstreifenden Nomaden diese im Winter unbewohnte Gegend verliessen. ‘Indem ich von einem Nomaden zum andern gewandert war — schreibt er an Toldy — und alle Bergbäche, die sich in die Sigwa ergiessen, überschritten hatte, durchquerte ich endlich jenen dreissig geographische Meilen übersteigenden Landstrich, der zwischen den Niederlassungen der Sigwa und Sinja entlang die Grenze der Wogulen und Ostjaken bildet. Mit diesem neuen Volksgebiete, das ich an der Sinja erreichte, war meine wogulische Reise beendet. Hiermit nämlich liess ich ein 3780 □ Meilen umfassendes Land hinter mir, welches zwischen den 58—66 Graden nördlicher Breite, den 76—85 Graden östlicher Länge liegt und nur 6342 Bewohner ernährt. Ich durchwanderte es im Verlauf von neun Monaten von seinem südlichsten Endpunkte, nämlich von der Tawda-Mündung, bis zu seinem nördlichsten Endpunkte, der Sigwa- Quelle, seine ganze Länge durch, der Breite nach in zwei Richtungen : im Süden vom Irtysch, über die Konda, den Pelim, die Lozwa bis zum Ural, im Norden von der Sigwa bis zur Mündung der Kleinen Soswa. Damit ging ich zu einem neuen Studium, der Erforschung der ostjakischen Sprache und des Volkslebens über.’11
* * *
Die Nord-Ostjaken, deren Grenze Reguly beim Sin-jā Flusse erreichte, unterscheiden sich in vielem von ihren wogulischen Brüdern. Diesen Unterschied verursacht nach Reguly eigentlich die geographische Lage des Landes und die Mannigfaltigkeit seiner Naturverhältnisse. Die wildreichen Waldungen des wogulischen Gebietes würden wir hier umsonst suchen. ‘Mit den Waldungen — schreibt er, — die vom Laufe des Wojkar, der Grenze der Tanne, immer mehr verkümmern und verkrüppeln, bis sie unter dem 67. Grade der Breite gänzlich aufhören, wird das Wild auch immer weniger und hört endlich auch auf ; die Grenze des Wildes aber ist auch die Grenze der Jagd. Hier bestimmt daher der Wasserreichtum und die Beschalfenheit der Steppe die Lebensart des Menschen und machen ihn an den Flüssen zum Fischer, auf den Ebenen der Steppe zum Renntierhirten.’12 Der Wogule ist mehr Jäger, der Ostjake dagegen Fischer. Steppenbewohner ist der Samojede, der mit seinen Renntierherden die endlose Fläche durchstreift.
Reguly ging vom Sinjā über die Fischerdörfer an den Flüssen Wojkar, Lār-vāš-joyan und Sob, setzte bei xíš-pūyor (Sand-Insel) über den Ob und kam am Abend des 8. Oktober 1844 in Obdorsk, einem der Hauptorte der Nord Ostjaken, an. Seine Absicht war, das Volk und die Sprache der Nord-Ostjaken zu studieren. Nach einer einwöchentlichen Rast besucht er das Dorf des Pastər-Geschlechtes einige Kilometer von Obdorsk am Poluj (Pul-joyan) Flusse. Dieses Geschlecht stammte aus der Gegend der nördlichen Soswa. Über seine Herkunft hat sich eine, unserer Wunder-Hirsch Sage ähnliche Überlieferung erhalten. Sein Ahnherr war der Elenjäger Pastar, der das schnellfüssige Wild bis hieher verfolgte, wo er die teure Beute endlich erlegte. Fern von seinem Wohnsitze liess er sich nieder. Das Pastər-Geschlecht hält noch heute an seiner ursprünglichen Überlieferung fest und ist grösstenteils noch heidnisch. Reguly weilt einen Tag bei ihnen, geht von hier auf xiš-pūyor da er aber des Eisstosses wegen nicht über den Ob konnte, kehrte er nach Obdorsk zurück. Doch bald nachher bedeckt sich der Ob mit dickem Eise und der Weg auf die endlose Tundra hinaus steht offen. Jetzt will Reguly nicht länger weilen. Er ändert seinen Plan. Vom sicheren Orte zieht es ihn in die unbewohnte Wüste hinaus, es reizen seine Seele die weissen Schnee- und Eisfelder, unwiderstehlich locken ihn die silberglänzenden Kuppen des Ural. Er will den Kampf sehen, den der Mensch hier, auf den Schneefeldern, mit der Rauheit des Klimas und der Elemente bestehen muss. Am 22. Oktober reist er von Obdorsk ab, geht an den Höhen von Punke und Sibilye vorbei über den Erdrücken der Steppe von Jalmal und kommt schon am 26. Oktober zu dem Flusse Poderatta, von wo er in der Quellengegend des Kute den Ural erreicht, auf dem er nun seinen Weg fortsetzt, bis er beim Berge Minissei (nach Reguly Ményesi) seine nördlichste Bergspitze erreicht. Von hier wollte er an der Westseite des Gebirges über die Quellen der Flüsse Kara, Ussa und Sob zum nördlichsten, dem sogenannten grossen Übergange (bolsoi perechod) des Gebirges gelangen, über den der auch historisch berühmte Weg von Obdorsk der Syrjenen führt, und so nach Obdorsk zurückkehren. Doch die Umstände ändern seinen Plan und er geht über den Kara-Fluss bis zu jener Abzweigung des Gebirges, die, dem Bergrücken von Jalmal entsprechend, hier bei den Quellen des Kara heraustritt und sich bis zum Wajgatsch-Passe hinzieht.13 Vom Kara erreicht er in zwei Tagen den Wajgatsch-Pass. Von hier trachtet er auf dem Erdrücken der Steppe, der zwischen den Quellen der Horotajka und der Hoila vom Scharhoj abzweigt, die Quelle des Kara zu erreichen. Er gelangte auch vom Hužumor-Flusse bis zu den Flüssen Hoila und Silva, doch fand er hier zwei Tage lang keine menschliche Spur, musste daher seinen Weg weiter südlich, den bewaldeten Ufern des Ussa zulenken. Endlich überschritt er über den Lahorta-Pass den Ural und kam nach Muži, einem kleinen, am Kleinen-Ob gelegenen Orte, wo er einige Tage rastete und dann von hier zum Winteraufenthalte nach Beresov, dem Hauptorte des gleichnamigen Bezirkes des tobolsker Gouvernements eilte. In Beresov eröffneten sich ihm jene volksprachlichen Schätze, deren Sammlung das Hauptziel seiner Bemühungen war. Hier schrieb er das erste ostjakische Lied vom Munde eines 70-80 Jahre alten Sängers ab. Diesem folgen dann die anderen. Mit wahrhaft fieberhafter Eile setzt er die Arbeit fort, als wenn er fürchten würde, dass mit jenen wenigen Alten, von deren Sängerkunst er noch hörte, auch diese uralten Überlieferungen in kurzem erlöschen werden. Er hatte nicht einmal dazu genug Zeit, die ostjakische Sprache in genügendem Masse zu erlernen. Er leistete einige Wochen hindurch sozusagen übermenschliche Arbeit, indem er diese Gesänge oft ohne Dolmetsch niederschrieb. Als es ihm auf diese Weise gelang, eine schöne Anzahl von Volksüberlieferungen zu retten, meldet er es mit Freude an Toldy und Baer.
‘In Beresov — schreibt er an Toldy14 — verlegte ich mich mit ganzem Eifer auf das Studium des Ostjakischen. Nachdem ich in der Sprache im grossen-ganzen orientiert war, wandte ich mich, um Sprachmaterial zu gewinnen und um das innere Leben des Volkes kennen zu lernen, der Sammlung von ostjakischen Liedern zu, welche mich ihres wertvollen Inhaltes halber eine Zeit ausschliesslich beschäftigten, weil sie das vergangene Leben des Volkes in einer Gestalt zeigen, wie ich mir es, seiner Gegenwart nach, nicht vorzu- stellen gewagt hätte. Wir sehen ein Volk des hohen Nordens, das unserer Auffassung nach, schon seiner Lebensweise wegen ganz anderer Geistesrichtung sein sollte, wie es mit hoher Begeisterung die Kriegstaten seiner Vorfahren erzählt, wie es das einmal traurige, ein andermal glückliche Los seiner Helden besingt, die teils als Götter mit äusseren Feinden, das ist mit den Syrjänen und Samojeden, teils als Fürsten mit ihren Brüdern und Nachbarn kämpften. Dieses Volk, das unter zahlreichen Fürsten stand, die aus Holzfesten und mit Erdwällen umgebenen Ortschaften über ihre Länder herrschten, nimmt am Schicksal seiner Herren teil ; sowohl ihre erfolgreichen, wie auch die missglückten Unternehmungen bilden den Gegenstand der bald erhebenden, bald tröstenden Gesänge, die sich von den Vätern auf die Söhne vererbend, an den Jahrestagen der Heldentaten und Gefahren gesungen werden. Die Erscheinung, die wir hier finden, ist anthropologisch eben so neu und überraschend — weil wir hier ein Fischervolk, unter solchem Himmelsstriche, von Heldenmuth und Schlachtenruhm begeistert sehen ; wie auch ethnographisch interessant, da wir bei einem Stamme der finnischen Völkerfamilie eine Geistesrichtung entdecken, die nicht nur keine Eigenart der anderen Finnen ist, sondern ihrem Naturell geradezu entgegengesetzt ist. Während nämlich die Dichtung der Finnen, in ihrer Abgesondertheit von der Welt, ganz ausser dem Kreise des gesellschaftlichen Lebens entwickelt, nur der Ausdruck des inneren und individuellen Lebens des Menschen ist und daher nur Herzens- und Gemütsbewegungen, und Kämpfe gegen die schädlichen Naturkräfte und gegen die Einflüsse böser Geister zum Gegen- stande hat : beschäftigt sich dagegen die ostjakische Dichtung nicht mit dem inneren Leben des Individuums, sondern besingt nur das Schicksal gesellschaftlicher Gruppen, Städte und Länder und indem sie immer von der Anschauung des nach aussen wirkenden Lebens ausgeht, stellt sie dessen mannigfaltige Kämpfe, Stürme und Wechselfälle dar. Der Mensch trachtet hier nicht nach geheimnisvoller Überschweng- lichkeit, durch Zauberkraft und Kunst nach geistiger Überlegenheit über Welt und Natur, wie dort : sondern strebt, von den Zauberbildern seiner Einbildung angeregt, die ihm hehre Taten und glückliche Wag- nisse vorspiegelt, durch tapferen Entschluss und Waffengewalt nach weltlicher Macht über Völker und Länder. Nachdem ich den hohen Wert der ostjakischen Dichtung so erkannt habe, entschloss ich mich, mir sämtliche im Gedächtnisse einzelner Greise noch lebenden Überreste zu verschaffen, und die Zahl der aus ihrem Munde ab- geschriebenen Gesänge überstieg schon achtzig Bogen, als ich durch Briefe aus St.-Petersburg über den Stand meiner Angelegenheiten unterrichtet, meine Arbeit zu unterbrechen, und obgleich mit Schmer- zen, plötzlich nach Kasan die Rückfahrt anzutreten gezwungen war.’15 Über Regulys Sammlung ostjakischer Volksdichtungen, die sich im ganzen auf 107½ beschriebene Bogen beläuft, wissen wir bisher nur so viel. Die Gesänge sind dicht, ohne erklärende Anmerkungen niedergeschrieben. Das kleine Wörterverzeichnis, das er mitgebracht, bezieht sich garnicht auf die Gesänge. Meiner Meinung nach, und das ist in mir sozusagen zu fester Überzeugung geworden, hatte er gar nicht mehr Zeit zur Erklärung der Gesänge, so schnell musste er Beresov verlassen. Was mochte ihn wohl zwingen, seine Arbeit so plötzlich zu unterbrechen? Darauf könnte ich auch Antwort geben, doch müsste ich hier auch solcher Umstände Erwähnung tun, von denen es vielleicht doch geratener ist zu schweigen. So viel darf ich aber wohl doch mitteilen, dass sich in den gelehrten Kreisen von St.-Petersburg damals schon zwei Parteien einander gegenüberstanden, die eine für, die andere gegen Reguly. Baer und Frähn setzten alles in Bewegung, um die Gegenpartei wieder für Reguly zu gewinnen, doch alle ihre Bemühungen waren umsonst. In einer akademischen Sitzung erzählte man sogar auch, ‘dass es ein wahrhaftiges Unglück ist, dass Reguly auf sprachwissenschaftliche Forschungen ausgegangen ist, da er doch in Helsingfors nicht einmal noch die partes orationis unterscheiden konnte. ‘Baer selbst billigte auch nicht, dass Reguly sein Reiseprogramm zu sehr erweitert hatte, und trachtete ihn in engere Grenzen zu führen. Am 30. Juni 1844 gibt er ihm den Rat, er soll nach Kasan zurückkehren, dort das schon fertige Material zu sich nehmen und dann nach Deutschland gehen, wo er von einem hervorragenden Sprachforscher (Gabelentz) unterstützt, sich mit der vergleichenden Sprachwissenschaft beschäftigen und sein reiches Material herausgeben kann. Er droht, ihm keine Zeile zu schreiben, bevor er nach Kasan zurückkehrt. Baer hielt auch sein Versprechen. Was Wunder, wenn diese Zwistigkeiten dem jungen Gelehrten die Lust benahmen ; dazu kam noch der Umstand, dass es ihm zu längerem Aufenthalte auch an Geld fehlte. Was konnte er anderes tun? Er folgt dem Rate des wohlwollenden Baer, geht nach Kasan zurück, in der Hoffnung, dass er sein wogulisches Material bald herausgeben können wird, und dann zu seinen unterbrochenen ostjakischen Studien zurückkehren kann. Es sollte aber anders kommen. Der Schlüssel zur Sammlung der ostjakischen Volksdichtungen konnte nur nach einem halben Jahrhunderte gefunden werden.
* * *
Reguly reiste am 3. März, bei einer Kälte von 37° R. von Beresov an den Flüssen Soswa und Lozwa nach Bogoslowsk ab. Anfangs ging die Reise bis zu den Jurten von Iskorsk ungewöhnlich schnell vor sich, da die Renntiere überall in Bereitschaft waren, später etwas langsamer bis Bogoslowsk, wo er am 10. März ankam. Seine Absicht, am Witschera-Flusse bis Tscherdin hinabzufahren, konnte er nicht verwirklichen, da die hohe Schneeschicht schon seit Monaten jeden Verkehr unmöglich machte. Von Bogoslowsk nahm er seinen Weg gegen Perm und besuchte unterwegs die bei Tschusowaja (also westlich vom Ural) wohnenden Wogulen. Die waren schon vollkommen russifiziert, so dass er unter ihnen einen einzigen, 70 jährigen alten Mann fand, der sich noch einiger wogulischer Wörter erinnerte. Die anderen wussten nur mehr russisch. Noch einen anderen Ausflug tat unser Forscher und zwar auf die östliche Seite des Ural, um in Nižnij-Tagilsk eine Altertumsammlung zu besichtigen und die Inschriften des Felsen am Tagil-Flusse (pismennoi kamen) in Augenschein zu nehmen. Bei Jekaterinburg setzt er wieder über den Ural und gewann, wieder mit einem Abstecher gegen Iljinsk, auf das Gut der Familie Stroganov, ober Perm die nach Kasan führende Landstrasse.16 Unterwegs besuchte er auch den Geistlichen von Döbesch, von dem er eine wotjakische Grammatik bekam.
Am 31. März kam Reguly in Kasan an. Hier wurde ihm sowohl von Seiten der weltlichen, als auch der geistlichen Behörde bedeu- tende Unterstützung zuteil. Gleich nach seiner Ankunft ging er mit dem Empfehlungsschreiben des Ober-Gouverneurs zum Bischof von Kasan, der ihn äusserst freundlich empfing und ihn mit grösster Bereitwilligkeit mit den Hilfsmitteln bekannt machte, auf die er sich in seinen Studien der tschuwaschischen und tscheremissischen Sprache stützen kann. In Bezug auf die letztere hatte der Abt des Klosters von Rajfa schon beträchtlichen Stoff gesammelt, da er sich früher als Professor an der Akademie von Kasan, dann als Missionär bei den Tscheremissen viel mit ihrer Sprache beschäftigt und auch schon einige Teile des Neuen Testamentes übersetzt hatte. Mit dem Empfehlungsschreiben des Bischofs reiste Reguly schon am 4. April in das Kloster von Rajfa (30 Werst von Kasan), wo er Erlaubnis erhielt das dort aufgehäufte tscheremissische Material zu benützen. Der brave Abt Hess ihm im Kloster sogar eine Wohnung einrichten, deren ungestörte Ruhe seinen von der vielen Arbeit und den mühseligen Reisen abgespannten Nerven sehr wohl tat. Aus Parati, einem der ersten tscheremissischen Dörfer, Hess ihm sein gastfreund- licher Hauswirt sogar einen Dolmetsch kommen. Reguly machte sich mit seinem gewohnten Eifer sofort an die Arbeit, doch starkes Fieber und körperliche Entkräftung unterbrechen ihn darin. Es schwanden ihm derart die Kräfte, dass er später nur mehr im Bette liegend arbeiten konnte. Die Ungarische Akademie der Wissenschaften wusste aber von dem Gesundheitszustande des Reisenden nichts und gab ihm inbetreff der tschuwaschischen und mordwinischen Sprache neuere Aufträge. Als Reguly erfuhr, dass man im Vaterlande seine Reisen mit immer mehr steigendem Interesse verfolgte, erwachte er sozusagen zu neuem Leben und gewann wenigstens seine alte Arbeitslust und Lebenskraft zurück. Wieder macht er neue Pläne, teilt sie Baer mit ; seine tscheremissischen Studien will er Mitte Juni beenden, geht von hier in den Bezirk Jadrinz unter die Tschuwaschen und bleibt bis Ende Juli dort. Um die Zeit ist der Jahrmarkt von Niznij-Nowgorod, den besucht er, und reist dann in die südlichen Teile des Gouvernements von Niznij-Nowgorod, zum Flusse Alatir, wo er sich dann mit der mordwinischen Sprache befassen will. Zwei Monate bleibt er unter den Mordwinen und kehrt dann nach Kasan zurück, um seine Arbeiten über die drei Sprachen zu ordnen und zusammenzustellen. Dies sind seine Pläne bis Oktober.
Doch der Zustand seiner Gesundheit besserte sich nicht, wurde vielmehr schlechter. Nach Beendigung seiner tscheremissischen Studien ist er über das andere schon sehr in Zweifel, weil ihn die verwünschte Krankheit — wie er in einem Briefe schreibt — so entkräftet, dass sie ihm nicht nur die Arbeitskraft benimmt, sondern manchmal, so scheint es, auch das Lebenslicht auslöschen will. Unter solchen Umständen entsagt er schon beinahe seinem früheren Pläne und reist am 2. Juli von Kasan gegen Niznij-Nowgorod ab.
In gedrückter Stimmung verlässt er die einstige Hauptstadt der tatarischen Khane. Er weiss nicht einmal recht, wohin ihn sein Weg führt : unter die Tschuwaschen, oder unter die Mordwinen, oder aber müde, krank zurück — in sein Vaterland? Wie er aber unters Volk kommt, erwacht seine Arbeitskraft, er verspürt keine Müdigkeit mehr ; nahe schon sieht er das Ziel, das er mit einem kleinen Kraftaufwande bald gänzlich erreichen kann. Er bleibt unterwegs in den tschuwaschischen und tscheremissischen Dörfern oft stehen, berichtigt und ergänzt, wo es nötig war, seine Samm- lungen. So kommt er am 17. Juli nach Nižnij-Nowgorod. Schon nach einwöchentlicher Rast geht er in das Innere des Gouvernements unter die Mordwinen, um von der Lebensweise und dem Zustande des allersiidlichsten Stammes der finnischen Völkerfamilie lebendige Anschauung zu gewinnen, und sich an Ort und Stelle einen geeigneten Dolmetsch zu verschaffen.
Doch war die Reise unter den Mordwinen mit vielen Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten verbunden. Sein Ziel konnte er auch nur teilweise erreichen, da er hierher eben in der Zeit der grössten Feldarbeit kam, wenn das ganze Volk draussen im Freien, weit auseinander zerstreut arbeitet. Er bekam weder Mensch noch Pferd zur Weiterreise. Endlich fand er doch einen Dolmetsch aus den Erza-Mordwinen, mit dessen Hilfe er die erza-mordwinische Sprache studieren konnte. Doch je mehr er mit ihren Eigenschaften bekannt wurde, desto klarer wurde ihm, dass der Erza-Dialekt, da er sehr grossem russischen Einflüsse ausgesetzt ist, ihm zu seinen Untersuchungen kein reines Material bietet. Unter solchen Umständen war er gezwungen, zu den im nördlichen Teile der Gouvernemente Penza und Tambow, im Gelände des Mokša Flusses wohnenden Mordwinen zu reisen, wo seine Hoffnung auch wirklich in Erfüllung ging, indem er reines Material vorfand. Hier nahm er einen Moksa-Dolmetsch auf, doch behielt er zum Vergleiche auch seinem Erza-Dolmetsch. In Begleitung seiner beiden Dolmetsche kehrte er mitte August nach Niznij-Nowgorod zurück, da er einsah, dass ein längerer Aufenthalt in jenen Gegenden seine ohnedies schon angegriffene Gesundheit noch mehr gefährden würde. Vor allem hatte er Ruhe und einige Bequemlichkeit nötig, um seine Arbeiten mit erneuerter Kraft fortsetzen zu können.17
Inzwischen sorgten seine Gönner und Freunde in Ungarn dafür, dass er seine Forschungen, der Geldsorgen enthoben, fortsetzen könne. Es bildete sich eine ‘Reguly-Gesellschaft’, die den Zweck hatte, durch Herausgabe eines ‘Reguly-Buches ‘zur Unterstützung des jungen Gelehrten Geld zu sammeln. Die rührige Seele dieser Gesellschaft war Franz Toldy. In der Überzeugung, dass das Gouvernement Kasan eine reiche Fundstätte für ethnographische und linguistische Forschungen sei, wünschte man nun von Reguly, je länger in den Wolga-Provinzen zu bleiben und das vorhandene Material so weit als möglich auszubeuten, und nur darnach an die Rückkehr zu denken, und zwar nach St.Petersburg oder nach Berlin, wo ihm zur Bearbeitung seines Materiales die nötige Literatur auch viel leichter zur Verfügung steht.
Diese Nachricht erhielt Reguly anfangs August. Sie war so unerwartet und so überraschend, dass er eine Zeitlang zu keinem Entschlüsse kommen konnte. Lange zauderte und zögerte er, da er nicht wissen konnte, ob ihm sein fortwährend wechselnder Gesund- heitszustand einen längeren Aufenthalt in jenen Gegenden rätlich machte. Doch allmählich kehrte seine Kraft zurück, der Anteil seiner Landsleute erhob seine Seele, so dass er mit Freuden die Fortsetzung seiner Arbeiten wieder aufnahm. Zwei Monate beschäftigte er sich noch in Nižnij-Nowgorod mit seinen mordwinischen Studien und kehrte im November zur Fortsetzung seiner tschuwaschischen Studien in das Gouvernement Kasan zurück. Den Winter verbringt er in Kasan und sammelt im Seminarium mit Hilfe tschuwaschischer Schüler emsig das Material. Am 16. Januar 1846 schreibt er schon an Frähn : ‘Meine tschuwaschischen Studien nähern sich schon dem Abschlüsse. Den grössten Teil meiner Arbeit, nämlich den Grundriss der Sprache in ihren Redeteilen habe ich schon beendet, es bleibt nur noch die Zusammenfassung und orthographische Ausbesserung des Ganzen übrig. Sobald ich damit fertig bin, gegen Ende dieses Monates, mache ich kleinere Ausflüge zu den Tschuwaschen, teils um meine Arbeit auch unter dem Volke selbst zu prüfen, teils um mich auch im Anatri (südlichen) Dialekte zu orientieren und wenn möglich, mein Werk mit neuem Materiale zu ergänzen. Nach meiner Rückkehr will ich auch das Tatarische versuchen, dem ich mit grossen Erwartungen entgegensehe, da dies besonders zur Aufklärung der tschuwaschischen und tcheremissisehen Sprache viel beitragen wird.’ Im Monate März begibt er sich in die Bezirksstadt Tziwilsk, und beschäftigt sich hier mit dem tschuwaschischen. Er verbessert und ergänzt hier seine Beispielssätze. Nachdem er so sein tschuwaschisches Sprachmaterial geordnet hat, kehrt er wieder in das Kloster Rajfa zurück, wo er den Dialekt den Feld-Tscheremissen vornahm und seine Aufzeichnungen ergänzte. Dann ging er noch nach Kosmodemjask zu den Berg- Tscheremissen, ferner in den Bezirk Jadrinsk zu den Tschuwaschen an der Sura. So bringt er den Sommer in unausgesetzter, seine geistigen und leiblichen Kräfte aufreibender Arbeit zu. Mit reicher Ausbeute, doch krank, kam er am 25. August nach St.-Petersburg zurück.
* * *
Mit offenen Armen wurde er von seinen Bekannten empfangen. Bei Balugyánszkys fand er in Peterhof ein trautes Heim. Nach einmonatlicher Rast wollte er schon in sein Vaterland aufbrechen, doch die Gelehrten von St.-Petersburg, besonders Koppen, rieten ihm an, dass es vielleicht zweckmässiger wäre, sein geographisches Material über den Ural noch hier zu bearbeiten, da er in Deutschland oder anderswo die nötige Beihilfe nicht finden könnte und ferner Aufklärungen über jene Gegenden nirgends grösseres Interesse erwecken könnten, als eben in St.-Petersburg. Auch die geographische Gesellschaft machte gewisse Anträge in Bezug der Bearbeitung. Reguly leistete ihren Wünschen Genüge, besonders da er einsah, dass seine späteren linguistischen Studien kaum Zeit und Gelegenheit lassen würden, diesen Gegenstand zu bearbeiten. Er schiebt daher seine Reise auf und nimmt das Ordnen und die Zusammenstellung des geographischen Materials sofort in Angriff. Die Arbeit, die er unternommen hatte, war der Entwurf einer Karte und die Abfassung der dazu gehörenden Erklärung. Er hoffte damit bis Ende November fertig werden zu können ; da aber das zu zeichnende Gebiet zwölf Breitengrade (59-70) umfasst und sein Zustand ihm täglich nur sehr wenig Arbeit gestattete, so konnte er diese Karte nur Ende Januar 1847 fertigstellen.18 Die Erklärung dazu gab er in einem an Koppen gerichteten Briefe, der in russischer Übersetzung auch in der Zeitschrift ‘Zapiski ‘der Geographischen Gesellschaft erschien.19 Den Stoff zur Zeichnung dieses grossen Gebietes schöpfte er aus zwei Quellen ; 1. aus den Benachrichtigungen der Eingeborenen und 2. aus eigenen Beobachtungen. So gelang es ihm während seiner langen Reise ansehnliches geographisches Material zu sam- mein, mit dessen Bearbeitung er eigentlich die Absicht hatte, durch die womöglich pünktliche geographische Übersicht des Gebietes seinen ethnographischen Studien eine sichere Grundlage zu schaffen. Diese Karte darf man daher, da sie mehr zu ethnographischem Zwecke verfertigt wurde, unmöglich nur von blossem geographisehen Gesichtspunkte aus betrachten. Soweit es möglich war, bezeichnet er pünktlich die Grenzen einzelner Völker, und zwar so, dass die Grenzen des Volkes zugleich die Grenzen der Sprache bilden. Daher bezeichnet er von den Wogulen nur die als Wogulen, die ihre Muttersprache noch reden. Er stellt die einzelnen Strom- gebiete zusammen, bezeichnet selbst die kleinsten Flüsse ; er erforscht die durch und über den Ural führenden Wasser- und Landwege, die sogenannten Übergänge. Er zieht die Grenzen des Landbaues, der Tierzucht und der Waldungen. Er bezeichnet, und zwar meistens in der Sprache des betreffenden Volkes, sozusagen jede einzelne Abzweigung, Spitze des Urals. Er benennt bei 500 Ortschaften. Auf dem Gebiete der Wogulen gibt es kein Dörfchen, keine Hütte, die in der Karte nicht verzeichnet wäre. An der Südseite des Urals, von der Quelle der südlichen Soswa bis zum Flusse Sigwa deutet er sogar die Zelte der renntierzüchtenden Nomaden mit dem Namen des Besitzers an, jedes auf jenem Gebiete, wo er im Laufe des Sommer herumzuwandern pflegt, damit den Mitgliedern der Ural-Expedition auf diese Weise Gelegenheit geboten sei, auch in diesen spärlich bevölkerten Gegenden wohlbewanderte Führer finden zu können.
Regulys Karte erregte in der russischen Hauptstadt gerechtfertigtes Aufsehen, die ‘St.-Petersburger Zeitung ‘spricht mit vollem Lobe von ihr und erklärt offen, dass ‘denen, die jenen, in den Karten des Ural-Gebietes gewesenen, nunmehr ausgefüllten weissen Fleck kennen, kann es nicht mehr fraglich sein, dass Reguly durch seine Karte und den beigefügten Erklärungen, in der Ethnographie und Geographie Russlands der Entdecker einer umfangreichen ‘terra incognita ’ geworden ist.20 Die russischen Gelehrten, die in dieser Zeit Karten des Ural-Gebietes herausgaben, benützen alle Regulys Ergebnisse. Diese Karte war, wie ich schon erwähnt, der Führer jener grossen Ural-Expedition, die von der russischen Geographisehen Gesellschaft unter der Leitung Hofmanns in den Jahren 1847, 1848 und 1850 zur pünktlichen Aufnahme des ganzen Ural-Gebirges und seiner grösseren Flüsse entsandt wurde. Hofmann selbst ge- steht, wie sehr der Expedition Regulys Karte schon darum nützlich wurde, weil sie darin eine Anzahl von Orts und Flussnamen bekam, ohne deren Bezeichnung sie ihren Führern nicht einmal das ver- ständlich machen können hätte, wohin sie geführt zu werden wünsche. Sobald man sich daher von der grossen Bedeutung der Karte über- zeugt hatte, wurde sie sofort vervielfältigt und ein jedes Mitglied der Expedition bekam ein Exemplar zu eigenem Gebrauche.21
Ich finde es sehr befremdend, dass in den neueren Bibliographien über den Ural und sein Gebiet Regulys Karte nicht einmal erwähnt wird, nicht einmal von den russischen Gelehrten,22 wo sie doch den späteren wissenschaftlichen Forschungen von so grossem Nutzen war. Auch in der wissenschaftlichen Welt geraten manchmal die Bahnbrecher in Vergessenheit.
Sobald er mit dieser Karte fertig war, nahm er von den Petersburger Gelehrten Abschied und suchte in Gräfenberg Genesung, wo er die Wasserkur gebrauchte, die anfangs seinen leidenden Nerven auch sehr wohl tat. Doch wie er geistig zu arbeiten versuchte, entstanden in seinem Kopfe sofort stechende Schmerzen, die selbst durch die geringste geistige Anstrengung hervorgerufen werden. Im September 1847 kehrt er auf kurze Zeit in sein Vaterland zurück, verbringt hier im Kreise seiner lange nicht gesehenen Eltern und Freunde einige schöne Tage, doch bald drängt ihn seine Pflicht zur Arbeit. Anfangs November ist er schon in Berlin, wo er zur Bearbeitung seines reichen Materials schreitet. Umsonst war all sein Ringen, das schwere Übel konnte er nicht bezwingen ; im Gegenteil, es nahm immer mehr zu. Im Sommer 1848 nimmt er in Lehsen, einer kleinen mecklenburgischen Stadt, neuerdings zur Wasserkur seine Zuflucht, doch infolge der unrichtigen Behandlung verschlimmert sich sein Zustand noch mehr. Freiherr von Eötvös, königl. ungarischer Minister für Unterricht, ernennt ihn am 13. Juni 1848 zum ersten Kustos der Universitäts-Bibliothek in Budapest, doch konnte er seiner Krankheit wegen das Amt nicht einmal antreten. Auf Zureden seiner Eltern gibt er die schädliche Kur endlich auf und kehrt am 3. Mai 1848 in sein Vaterland zurück. Den Sommer verbrachte er bei seinen Eltern, dort besserte sich allmählich auch sein Zustand. Ende September hätte er auch schon sein Amt antreten können, doch infolge der veränderten politischen Zustände wurde seine Ernennung für nichtig erklärt. Auf Vermittlung seiner Freunde ernannte ihn am 25. Januar 1850 Baron Karl Geringer, kaiserl. Kommissär, zwar nur provisorisch, wieder zur Universitäts-Biblio-thek. Dieses Amt war wie für ihn geschaffen, in diesem konnte er sich seinen Studien widmen. Am 16. September desselben Jahres hielt er seine akademische Antrittsvorlesung mit der Abhandlung : ‘Über die Dzungaren und ihre angebliche Stammverwandtschaft mit den Ungarn.’23
Der Anlass dazu war eigentlich, dass in der Sitzung der Akademie am 31. August Dr. Karl Gützlaff, Missionär aus China, als Gast über die chinesische Sprache und Schrift einen Vortrag hielt und im Laufe desselben auch des am Kokonor wohnende dzungarische Volkes erwähnte, in dem er die Nachkommen der alten Hunnen, die Brüder der Ungarn vermutete. Diese Vermutung wurde von der Tagespresse schon als unumstössliche Wahrheit verkündet. Reguly war zur Zeit nicht in Budapest, er weilte in Balaton-Füred, und erhielt über die interessante Vorlesung nur aus den Wiener Blättern Nachricht. Nach Budapest zurückgekehrt, macht er sich sofort an die Klarstellung der Frage, schon darum, ‘weil dies, — wie er in einem Briefe schreibt — die uns von Csoma de Koros hinterlassene Überlieferung berührt, da Csoma de Koros das Volk der Juguren oder Wuguren, in dessen Aufsuchung ihn der Tod am Wege ereilte, in der Gegend des Kokonor, an den nord-östlichen Grenzen von Tibet aufzufinden gehofft hatte.’ Mit der Frage kam er bald ins Klare ; mit grosser Kundigkeit bezeichnet er die einzelnen Stämme der mongolischen Völkerfamilie, wohin auch die Dzungaren gehören und erklärt, dass das Ungarische mit dem Mongolischen, wie auch mit den anderen mittelasiatischen Sprachen in weiterem Sinne verwandt sei und dass es die Aufgabe der ungarischen vergleichenden Sprachwissenschaft sei, sowohl das Mongolische, als auch die übrigen mittelasiatischen Sprachen in den Kreis ihrer Untersuchungen zu ziehen. Dass auch Gützlaff an die Mongolen nur im weiteren Sinne genommen dachte, erhellt vornehmlich aus der von ihm erwähnten Völkerzahl von drei Millionen, da doch die Anzahl der Dzungaren sich nicht einmal auf ebensoviel Hunderttausende beläuft.
Zum Schlüsse äussert er sich über die Frage der Verwandtschaft. Seiner Ansicht nach ‘ist die Auffassung der Verwandtschaftsfrage, obschon sie im Grunde genommen von einem jeden Ungarn mit gleichen Gefühlen aufgefasst wird — den Geistesstufen derselben nach verschieden, und wenn wir sie, abgesehen von ihren mannigfaltigen Begriffsabstufungen, in ihren zwei Hauptrichtungen betrachten : so kann sie, insofern sie nur durch die unbeeinflussten Gefühle des Herzens begriffen wird, volkstümlich genannt werden ; insofern sie aber mit der Auffassung des von der selbstbewussten Einsicht beeinflussten Herzens betrachtet wird, als wissenschaftlich bezeichnet werden. Die erstere kennzeichnet vollkommen jene Frage die ich zu hören so oft Gelegenheit hatte : “ Haben Sie Verwandte gefunden? “ und wir sehen daraus, dass der Ungar heute an den aus Russland und Asien zurückgekehrten Reisenden dieselbe Frage stellt, die er einst zu Zeiten Bêlas IV. an seine Missionäre gestellt haben mochte ; wir sehen, dass sich die Anschauung nicht verändert hat und ihre geistige Stufe dieselbe ist, die sie damals war. Wie damals, meinen wir — freilich mit mehr Berechtigung — dieser Auffassung nach, unsere asiatischen Verwandten müssten an Leib und Seele vollends so sein, wie wir hier in Pannonien sind ; sie müssten die Sprache unseres geliebten Vaterlandes reden, wir dürften sie nur auffinden, um alle Geheimnisse unserer nationalen Vergangenheit zu enthüllen, um die Frage unserer Abstammung und Verwandtschaft zu entscheiden. Leider! ist es dem nicht so und kann auch nicht so sein. Doch das Herz ist es, das so denkt.’
‘In einem anderen Lichte erscheint die Frage unserer Verwandt- schaft — sagt er — wenn wir sie vom wissenschaftlichen Standpunkte aus betrachten. Die Wissenschaft geht nicht von der inneren Welt der Gefühle, sondern von der Betrachtung der objektiven Welt aus. Indem sie die Volksstämme der Menschheit und ihre einzelnen Glieder, in Anbetracht der leiblichen und geistigen Kräfte und Eigenschaften übersieht, erfasst sie die Gesetze ihrer Erscheinungen, und indem sie jene ihrer Anschauung zugrunde legt, entnimmt sie ihnen die Grundsätze ihrer Forschung, wie auch den Ausgangspunkt derselben. Sie kennt keine vorgefassten Meinungen, weiss und glaubt nichts im vorhinein : sondern nimmt nur das als solches an, was sie nach eingehender Untersuchung für wahr befunden hat. Sie weiss, dem natürlichen und folgerechten Hergange der Entwicklung nach, dass man die Arbeit von Jahren nicht überspringen und auf den Flügeln des Gedankens plötzlich am Endpunkte eines ferneliegenden Zieles nicht ankommen kann, sondern dass zu grossen und entfernten Zielen sicher nur ausdauernde und zielbewusste Arbeit führen kann.’
Auf solche Weise dachte sich Reguly die Verwandtschaftsfrage feststellen zu können. Zu diesem grossen Werke hatte er sich auch das nötige Material verschafft. Er hatte das ganze finnisch-ugrische Gebiet bereist, dort an Ort und Stelle hatte er sozusagen ein jedes einzelne Mitglied des Stammes studiert. Jetzt blieb nur noch übrig, dieses reiche Material in einem zusammenfassenden Werke zum Gemeingute der Wissenschaft zu machen. Doch hier beginnt der unbeschreiblich tragische Abschnitt seines Lebens. Während seiner langwierigen Krankheit entschwand ihm vieles, in seiner Seele ver- blichen jene Eindrücke, die er seinem Gedächtnisse vertraut hatte, da er oft nicht einmal soviel Zeit hatte, alles schriftlich festzuhalten. Jetzt, da er sein Material zu ordnen beginnt, stockt er auf Schritt und Tritt, sein Gedächtnis ist nicht imstande, die dunklen Stellen aufzuhellen. Während er so in peinlicher Ungewissheit in seinen Notizen blättert, fängt sein einstiger Lehrer, später Nebenbuhler, der berühmte Castrón an, die Ergebnisse seiner jahrelangen sibirischen Forschungen auf der Universität zu Helsingfors zu verkünden. In seiner Antrittsabhandlung De affixis personalibus linguarum altaicarum (1850) beweist er die Zusammengehörigkeit des grossen altaisehen Sprachstammes. In der Reihe seiner ethnologischen Vöriesungen aber behandelt er insbesondere jede einzelne Gruppe der ural-altaischen Sprachfamilie. Doch der unbarmherzige Tod hemmt allzufrüh seine glorreiche Laufbahn.24
Zur selben Zeit betrat auch bei uns Paul Hunfalvy das Gebiet der vergleichenden Sprachwissenschaft. Nach der Erschütterung von 1849 setzte sich sozusagen im Herzen eines jeden Ungars der Zweifel fest. ‘Dieser Zweifel — wie Hunfalvy sagt25 — warf von 1850 an für die Sprachwissenschaft jene Frage auf, ob sich vielleicht Reguly nicht ebenso geirrt haben mochte wie Csoma de Koros. Da Reguly auf die Frage nicht antwortete, nahm der Zweifel immer mehr zu.’ Als die Akademie nach zweijähriger Unterbrechung im Jahre 1850 ihre Sitzungen eröffnete, berührte Reguly in seiner akademischen Antritts-Abhandlung nur flüchtig die Verwandtschaftsfrage und sprach, wie wir gesehen, nur im allgemeinen darüber. Dann aber schwieg er vollends. Da trat Hunfalvy in die Schranken, dessen Aufmerksamkeit Wilhelm Schotts Werk : ‘Über das altaische oder finnisch-tatarische Sprachengeschlecht’ (1847) gänzlich den altaisehen Sprachen zuwendete. Am 18. Januar 1851 las er seine erste Abhandlung, ‘über unsere grossen Aufgaben in der Sprachwissenschaft ‘vor, in der er den ural-altaischen Kreis der Sprachwissenschaft als solchen bezeichnete, ‘in dem — um seine eigenen Worte zu gebrauchen — die Führerschaft wir zu ergreifen haben, damit unsere wissenschaftliche Tätigkeit der grössten Schande, der Schande der Unfähigkeit nicht preisgegeben werde.’
Gewiss hatte er hier auch auf Regulys Tätigkeit gerechnet. Des öfteren spornte er Reguly zur Bearbeitung seiner Sammlungen an, doch noch mehr als Hunfalvy, eiferte ihn Franz Toldy an, der ihn mit schonungsvollem Zartgefühl auf die Notwendigkeit der Arbeitseinteilung aufmerksam machte, als er bemerkte, dass Reguly auch schon die vaterländischen Stämme in den Kreis seiner Forschungen miteinbezog.26 In den Ferien nämlich tat er einige anthropologische und ethnographische Reisen ins Alföld und unter die Palotzen. Toldy empfahl ihm, früher sein sprachwissenschaftliches Material zu ordnen ; dasselbe möge er auch mit seinen ethnographischen Erfahrungen tun, die Ergebnisse in mehr oder weniger umfangreichen Abhandlungen der Akademie vorlegen, und nur darnach das zusammenfassende grosse Werk beginnen. Reguly gab auch dem guten Rate nach. Längere Zeit sprach er über seine Pläne nicht. Seine Freunde, die glaubten, dass er schon in voller Arbeit sei, und auf einmal mit fertigen Ergebnissen auftreten werde, mussten sich in ihren Erwartungen bitter täuschen. Nach langen, vergeblichen Versuchen endlich gesteht er Franz Toldy im Tone des tiefsten Seelenschmerzes und erklärt ‘sich für unfähig, seinen eigenen Schatz zu heben’. Toldy versuchte ihn damit zu beruhigen, er möge seine Sammlung vielleicht im Vereine mit jemand anderem, z. B. Hunfalvy herausgeben. Da kehrt in die entmutigte Seele neue Hoffnung ein. Fleissig liest er mit Hunfalvy die wogulischen Texte. ‘Diese Beschäftigung — schreibt Hunfalvy — erheiterte ihn und grosse Arbeitslust wandelte ihn an. Unermüdlich begann er seine lexikalischen und grammatikalischen Aufzeichnungen zu ordnen ; seine Erinnerungen wurden wach, und es schien, als ob er körperlich und geistig zu sich kommen würde. Doch der frische Mut hielt nur bis zum Mai 1858 an. Da unterblieben seine Besuche und er vertröstete mich damit, dass er sich in den Sommerferien im Gebirge von Buda aufhalten und erholen wird und wir im Herbste die Arbeit mit erneuter Kraft wieder aufnehmen werden. Im Juli ging ich auch aufs Land und dort ereilte mich bald die traurige Nachricht, dass Reguly am 23. August gestorben ist.’27
So endete sein kampfreiches Leben. Er opferte die Blühte seiner Jugend der Wissenschaft, der er bis zum letzten Schlage seines Herzens treu blieb. Die Gnade der Vorsehung aber sorgte dafür, dass die ungarische vergleichende Sprachwissenschaft, deren grossartige Ergebnisse er ahnte, im Geiste vielleicht auch schon sah, aus seinem Nachlasse zu neuem Leben erstehe.
Source : Josef Pápay, ‘Anton Reguly’s Gedächtnis, ‘Sammlung Ostjakischer Volks- dichtungen (Budapest, Leipzig, 1905), pp. I-LI.
1 Anton Reguly wurde am 13. Juli 1819 zu Zircz, im Komitate Veszprém geboren. Seine Studien vollendete er am Gymnasium zu Székesfehérvár (1828- 1834), an der Akademie zu Györ (1834-1836) und an der Universität zu Pest (1836-1839). An letzterer hörte er Rechts- und Staatswissenschaften.
2 Reguly-Album. Mit historischem und belletristischem Inhalte von Jászay, Jókai, Jósika, Lugossy, Petôfi, Rischel, Szigligeti, Emerich Vahot und Venczel. Als Einleitung Regulys Reisen von Franz Toldy. Ausgabe der Reguly-Gesell- schaft. Pest, 1850. Seite XXXVI-XXXII.
3 Reguly-Album, Seite XXXVIII.
4 Demonstratio idioma Ungarorum et Lapponum idem esse. Koppenhagae. 1770. zum zweitenmal : Tyrnaviae. 1771.
5 Affinitas linguae Hungaricae cum linguis Fennicae originis grammatice demonstrata Gottingae. 1799.
6 Csoma de Koros und Reguly, Magyaren, die nach den Ur-Sitzen ihrer Väter forschen. — Derselbe erschien auch im Auszuge im Journal de Saint-Pétersbourg (10. Dezember 1842, Nr. 526).
7 Reguly-Album, LII-LIII.
8 Denselben Brief gab mit einigen Veranderungen auch Baer aus : Kurzer Bericht uber wissenschaftliche Arbeiten und Reisen, welche zur naheren Kenntniss des Russischen Reichs in Bezug auf seine Topographic, physische Beschaffenheit, seine Naturprodukte, den Zustand seiner Bewohner u. s. w. in der letzten Zeit ausgefuhrt, fortgesetzt oder eingeleitet sind. Herausgegeben von K. L. von Baer. St. Petersburg. 1845. (Beitrage zur Kenntniss des Russischen Reiches und der angranzenden Under Asiens. IX. Bd.)
9 Untersuchungen zur Erläuterung der älteren Geschichte Russlands. Her- ausgegeben von der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften durch Ph. Krug. St.-Petersburg 1816. Über die geographische Lage und die Geschichte des im russisch-kaiserlichen Titel genannten Jugrischen Landes, p. 4-5.
10 Reguly-Album, LXXX-LXXXVI.
11 Reguly-Album, XCVI-XCV1I.
12 Reguly-Album, XCVIII.
13 Reguly-Album, C.
14 Reguly-Album, CIII-CV.
15 Reguly-Album, CIII-CV.
16 Baer : Schluss-Nachrichten über Reguly’s Reise. (St.-Petersb. Ztg. 1845. Nr. 88.)
17 Reguly-Album CIX. und Kunik : Neuere Nachrichten über den magyarischen Reisenden Reguly. (St.-Petersburger Ztg. 1846. Nr. 27.)
18 Ethnographisch-geographische Karte des nordlichen Uralgebietes, entworfen auf einer Reise in den Jahren 1844 und 1845 von Anton Reguly. St.-Petersburg 1846. Diese Karte gibt auf 16 grossen Quartseiten die ausfiihrliche Beschreibung des Gebietes zwischen den 58-70 Graden nordlicher Breite und 72-89 Graden ostlicher Lange. Heute ist sie schon sehr selten. In unserem Vaterlande gibt es nur zwei Exernplare, beide in der Bibliothek der Akadernie der Wissenschaften.
19 llepeaom mcma aemepcltaro nyTeluecTseHHuKa T - ~ aPe zyfiu ~b weHy Pycc~aror eorpai~ec~ar0o6 1uecrsa, A K ~ A ~1M1. I~?. KKe~n ne~yo n 2 1. R H B ~1~84R7. rona (3anuc~uP ycc~aror eorpa@u~ec~aOro~ W ~ CKTHBum~Ka, 111. Ca~ltTne~ep6ypI-1h8~4 9). 159-1 75.
20 St.-Petersburger Zeitung. 1847. Nr. 20.
21 Der nördliche Ural und das Küstengebirge Рае-Choi. Untersucht und beschrieben von einer in den Jahren 1847, 1848 und 1850 durch die kaiserlich russische Geographische Gesellschaft ausgerüsteten Expedition. II. Bd. Verfasst von dem Leiter der Ural-Expedition Dr. Ernst Hofmann. St.-Petersburg. Buchdruckerei der kaiserl. Akademie d. Wiss. 1856. p. 4-5.
22 Wenigstens Semjonov erwähnt sie nicht in seinem grossen Werke (‘Географическо-статистическiЙ словарь РоссiЙской ИмперИ’), welches im Auftrage der russischen Geographischen Gesellschaft verfertigt wurde. St.-Petersburg. 1863-1885.
23 Erschienen in ‘Magyar Akadémia Értesitó. ‘1850. X. Jahrg. Seite 155-168.
24 Gestorben am 7. Mai 1852. Die Ergebnisse seiner Forschungen hat im Auftrage der Akademie von St.-Petersburg Schiefner herausgegeben : ‘Nordische Reisen und Forschungen von Dr. Alexander CastrPn.’ (1852-1858.)
25 Literarische Berichte aus Ungarn. I. Jahrg. S. 17.
26 Frarlz Toldy’s Gesammelte Werke TI. Bd. Ungarische Staatsmanner und Schriftsteller. 2. Bd. Pest. 1868.
27 Anton Regulys Nachlass. Im Auftrage der Ung. Akademie der Wissen- schaften herausgegeben von Paul Hunfalvy. I. B. Das Land and Volk der Wogulen. Pest. 1864. Vorwort.
We use cookies to analyze our traffic. Please decide if you are willing to accept cookies from our website. You can change this setting anytime in Privacy Settings.