“JOSEF ZUBATÝ (1856-1931)” in “Portraits of Linguists: A Biographical Source Book for the History of Western Linguistics, 1746-1963, V. 2”
JOSEF ZUBATÝ (1856-1931)
Die Persönlichkeit Josef Zubatýs
Vilém Mathesius
Durch den Tod Josef Zubatýs, der am 21. März d. J. im gesegneten Alter von fast sechsundsiebzig Jahren gestorben ist, haben drei wissenschaftliche Forschungsgebiete einen hervorragenden Vertreter verloren. Indische Philologie und vergleichende indogermanische Sprachwissenschaft waren seine Berufsfächer, tschechische Sprachgeschichte ist später als ein Lieblingsfach, für das alle die reichen Erfahrungen einer langen, nie ermüdenden Forschungsarbeit ausgenützt wurden, hinzugetreten. Für Indologie und vergleichende indogermanische Sprachwissenschaft hat sich Zubatý im Jahre 1885 im Alter von dreißig Jahren an der Prager tschechischen Universität habilitiert und ist seither ihr offizieller Repräsentant bis 1925, seinem siebzigsten Lebensjahre, geblieben, seit 1891 als Extraordinarius, seit 1896 als Ordinarius. Mit der Bohemistik ist er nur durch die Laune der Kriegszeit in einen kurzen offiziellen Kontakt gekommen, dadurch dass er in den Jahren 1915 bis 1919 für den zum Heeresdienst eingerückten Prof. Emil Smetänka die Lehrkanzel der tschechischen Sprache supplierte, aber in seiner Forschungsarbeit hat er sich von etwa 1910 fast ausschließlich auf bohemistische Probleme konzentriert. So zerfällt seine lange, bis dicht an seinen Tod reichende wissenschaftliche Tätigkeit, obwohl sie methodologisch ein harmonisch sich entwickelndes Ganzes darstellt, den behandelten Problemen nach in zwei auch zeitlich voneinander unterschiedene Hälften und ihre reichen Resultate müssen in doppeltem Zusammenhang gewürdigt werden.
Die Stelle eines Sprachforschers innerhalb seines Fachgebietes wird hauptsächlich durch drei Tatsachen bestimmt : durch die Wahl seines Forschungsmaterials, durch die Wahl der behandelten Probleme und durch seine Stellung zu den allgemeinen Fragen der Sprachwissenschaft. In allen diesen drei Hinsichten nimmt Zubatý in der Indogermanistik seiner Zeit eine Sonderstelle ein.
Daß sich ein vergleichender Sprachforscher auf eine genaue Kenntnis des Altindischen stützte, war in der klassischen Zeit der Indogermanistik ganz allgemein. Hierin war Zubatý also keine Ausnahme. Was aber in der vergleichenden Sprachforschung seiner Zeit wenigstens in den westlichen Ländern selten oder gar nicht vorkam, war eine sichere Kenntnis des slavischen und des baltischen Sprachmaterials. Und das war der Vorzug, den Zubatý seit den ersten Jahren seiner wissenschaftlichen Tätigkeit innehatte und den er später noch stärker zur Geltung brachte. In der ersten Hälfte seiner wissenschaftlichen Laufbahn trat mehr das Baltische in den Vordergrund. Zubatý war nicht nur ein guter Kenner des Litauischen, sondern auch ein Meister des Lettischen. Er war vielleicht der erste, der diese wenig bekannte Sprache in den Bereich der vergleichenden Sprachbetrachtung zog und sicher einer der Schöpfer der historischen Grammatik des Lettischen. Das Slavische war seit dem Anfang eine wichtige Stütze seiner vergleichenden Ausführungen, aber erst im zwanzigsten Jahrhundert tritt es mächtig in den Vordergrund, bis sich Zubatý in den Jahren 1908 bis 1910 aus einem hervorragenden Indogermanisten in den größten Bohemisten seiner Zeit verwandelte.
Schon die Beherrschung eines entlegenen und in mancher Hinsicht eigenartigen Sprachmaterials mußte Zubatý zu neuen Resultaten in der vergleichenden Sprachwissenschaft führen. Noch mehr gilt das von der Art, in der er sein Material behandelte. Er selbst hat einmal darauf hingewiesen, dass seine ursprüngliche Schulung die eines klassischen Philologen war und dass er in der Schule der klassischen Philologie sich angewöhnt hatte, stets von Texten auszugehen. Das ist bei ihm wirklich immer die Regel gewesen, das Sprachmaterial nur in der Form von zusammenhängenden Texten, geschrieben oder gesprochen vor sich zu haben, und alle künstlich gebildeten Beispiele oder gar hypothetische Rekonstruktionen zu vermeiden. Diese Praxis, die ihn stets in einem direkten Kontakt mit der wirklichen Sprache erhielt und eine der wichtigsten Wurzeln seiner wissenschaftlichen Originalität war, kann aber durch die Tradition der klassischen Philologie nur zum Teil erklärt werden. Die klassische Philologie hat in ihm vielmehr schon vorhandene Dispositionen verstärkt. Er selbst sagt ja, daß er schon in den oberen Gymnasialklassen mehr alttschechische Texte durchgelesen hatte als der durchschnittliche bohemistische Prüfungskandidat. Es war sein feines Gefühl für die Realität und seine Freude an ihrer zarten Ursprünglichkeit und für diese Gaben hatte er wohl ebenso seiner slavischen Abstammung wie seiner künstlerischen Veranlagung zu danken. Er selbst hat es einmal gestanden, wie viel er seiner Musikliebe schuldete, und das Postulat ausgesprochen, dass ein jeder Sprachforscher sich mit irgend einer Kunst beschäftigen solle. Vergleicht man damit die Behauptung, die ich von einem Schüler Gebauers gehört habe, daß die linguistische Begabung der mathematischen nahe verwandt sei und mit dem Verständnis für die literarische Kunst nichts gemeinsam habe, ja dieses sogar ausschließe, so erkennt man, wie Zubatý in dieser Hinsicht selbständig und modern orientiert war.
Zubatýs feinfühliges Verhältnis zur Wirklichkeit der Sprache war auch einer der mächtigsten mitbestimmenden Faktoren bei seiner Wahl der zu behandelnden Probleme und für seine Stellung zu allgemeinen Fragen der Sprachwissenschaft. Es ist seinerzeit mit Recht hervorgehoben worden, daß er eben zu der Zeit zum Forscher heranreifte, als die junggrammatischen Thesen von der ausnahmslosen Gesetzmässigkeit des Lautwandels siegreich durchzudringen begannen, und man hat ebenso wiederholt mit Recht darauf hingewiesen, daß sich Zubatý zu ihnen sein Leben lang skeptisch, wenn nicht ablehnend verhielt. Das negative Verhältnis mag von Zeit zu Zeit verschiedene Intensität gehabt haben oder mit verschiedener Klarheit zu Tage getreten sein, aber die Grundlinie ist dieselbe geblieben. Davon seien hier nur zwei belehrende Illustrationen angeführt. Während die Junggrammatiker ihre Aufmerksamkeit auf die Lautgeschichte und auf die als angewandte Lautgeschichte aufgefaßte Morphologie konzentrierten, hat Zubatý mit Vorliebe Wortbildungs- und Wortbedeutungsgeschichte und Syntax durchforscht. Während die Junggrammatiker das an der Sprachentwicklung betonten, was von ihrer Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit zeugen konnte, suchte Zubatý besonders solche Probleme auf, die gerade auf das Gegenteil hinwiesen und eher von einer gewissen Unberechenbarkeit und Willkürlichkeit des Sprachwandels Zeugnisse lieferten. Das alles wird durch den starken Einfluss erklärt, den auf Zubatý sein großer Lehrer an der alten Prager gemeinsamen Universität Prof. Alfred Ludwig gehabt hat und durch Zubatýs damit befestigte Verknüpfung mit der vorjunggrammatischen Sprachwissenschaft. Das ist wohl zum Teil wahr. Zubatý selbst gedachte seines Lehrers stets mit Ehrfurcht und Dankbarkeit und bekannte sich offen zu manchen von seinen Ansichten, die nach seiner Meinung in der offiziellen Sprachwissenschaft zu wenig Beachtung fanden. Es muß auch anerkannt werden, daß Zubatý in der Wahl seiner Probleme und in seinem Verhältnis zum Sprachmaterial viel mit der älteren Sprachwissenschaft gemeinsam hatte. Aber um Zubatýs Stellung zu den Junggrammatikern zu erklären, genügt der Einfluß Ludwigs allein ebensowenig wie der Einfluß der klassischen Philologie allein Zubatýs Behandlung des Sprachmaterials zu erklären vermag. Die Einflüsse haben nur die durch den Charakter gegebene Grundhaltung verstärkt. Dem Realitätsgefühl Zubatýs widerstrebte jede abstrakte Verallgemeinerung und wenn er die modernen phonologischen Theorien näher gekannt hätte, so würde er sich zu ihnen gewiß ebenso ablehnend mißtrauisch verhalten haben wie gegenüber den junggrammatischen Thesen. Wie weit seine Abneigung gegen Abstraktionen in der Sprachwissenschaft gehen konnte, zeigt der Umstand, daß er die von anderen Forschern vorgeschlagenen Satzdefinitionen zwar scharf kritisierte, aber selbst nicht einmal eine Arbeitsdefinition des Satzes geben wollte, ob- zwar er so viel von den verschiedenen Satzarten geschrieben hat und bis zu seinem Tode den Plan gehegt hat, eine ‘Biologie’ des indogermanischen Satzes zu schreiben.
In der Indologie und der vergleichenden indogermanischen Sprachwissenschaft war Zubatý, wenn auch nicht der erste tschechische Vertreter im akademischen Unterricht, so doch der Gründer der wirklichen tschechischen wissenschaftlichen Tradition. Dazu ist es gekommen, nicht nur weil Zubatý fast am Anfang der selbständigen tschechischen Universität stand, sondern hauptsächlich auch wegen seiner hervorragenden lange Jahre dauernden Forschungs- und Lehrtätigkeit auf beiden Gebieten. In der Bohemistik dagegen hat Zubatý die Führung aus der Hand des toten Gebauer übernommen. Die Übereinstimmung der Daten ist wirklich überraschend. Gebauer stirbt im Jahre 1908 und in den Jahren 1908 bis 1910 erscheinen die ersten Beiträge Zubatýs zur tschechischen Wortgeschichte, die ihm mit einemmal die Stellung des von allen geschätzten Meisters verschafften. Es war eine zweifach glückliche Fügung des Schicksals. Die massive Persönlichkeit Gebauers, die ihm eine so große Schar treuer, aber dogmatisch gesinnter Schüler züchten half, ließ in seinem eigenen Fachkreise keine Forscherpersönlichkeit zur Reife gelangen, die das große Werk der Erforschung der tschechischen Sprache selbständig hätte weiterführen können, und die Gefahr war groß, daß nach seinem Tode in der Bohemistik eine lange Periode farblosen Epigonentums einträte. Niemand konnte zu Lebzeiten Gebauers ahnen, daß sich abseits der Bohemistik ein Sprachforscher vorbereitete, der sich im gegebenen Moment als reifer, bewährter und vollblütiger Bohemist entpuppen würde und daß Gebauers Thron gleich nach dem Tode des Inhabers von einem gleichwertigen und doch so ganz anders gearteten Meister der Sprachwissenschaft bestiegen werden sollte.
Man kann sich keinen größeren Unterschied zweier ausgeprägter Forscherpersönlichkeiten denken als den Unterschied zwischen Gebauer und Zubatý. Gebauer war ein logischer Kopf, der überall nach Gleichmässigkeit und Gesetzmäßigkeit suchte. Zubatý war ein feiner Beobachter, welcher sich gegen alle den Boden der gesicherten Realität verlassenden Verallgemeinerungen sträubte und an der Eigenart der einzelnen Tatsachen seine Freude hatte. Für Gebauer stand, obwohl er auch Wortbildungslehre und Syntax trieb, doch die Lautgeschichte und die lautgeschichtlich aufgefaßte Morphologie im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zubatý dagegen war von Grund aus Wortforscher und Syntaktiker. Gebauers Werk gipfelte in den monumentalen Bänden seiner historischen Grammatik, die in großen Linien die Entwicklungsgeschichte der tschechischen Sprache zeichnete. Zubatý hat in seinem ganzen Leben kein Buch geschrieben. Sein bohemistisches Werk ist gross, aber es besteht in einer langen Reihe von einzelnen in Artikelform veröffentlichten Beiträgen zur tschechischen Wortgeschichte und Syntax. Man kann ihn in dieser Hinsicht mit dem Altmeister der französischen Sprachwissenschaft Adolf Tobler vergleichen.
Zubatý hat durch seine unermüdliche Arbeit die bohemistische Sprachwissenschaft nach dem Tode Gebauers auf demselben Niveau wissenschaftlicher Höhe, strenger Sachlichkeit und meisterhafter Leistung erhalten, aber zugleich ihre Problematik überaus bereichert und ihre Methoden verfeinert. Den ganzen Segen der unmittelbaren Nacheinanderfolge zweier so großer und so verschiedener Meister in der Führung der bohemistischen Sprachwissenschaft wird erst die Zukunft zeigen.
Das Bild der Leistung Zubatýs in der Bohemistik kann ohne Erwähnung seiner Bestrebungen um die Hebung der tschechischen Sprachkultur nicht vollständig sein.
Die nationale Katastrophe, welche das tschechische Volk im 17. Jahrhundert traf und in dem ungeheueren Verfall tschechischer Nationalkultur kulminierte, hat es als natürliche Konsequenz mit sich gebracht, daß auch die Tradition der tschechischen Schriftsprache, die mit Ausnahme des Altkirchenslavischen die älteste slavische Schriftsprache ist, gebrochen wurde. Als sich dann am Anfang des 19. Jahrhunderts die tschechische Literatur wieder selbständiger zu entwickeln begann, geschah es in einer zu einem bedeutenden Teil neugeschaffenen Schriftsprache, die in Wirklichkeit eine Art künstliche Sprache war und sich erst einleben mußte, wenn eine wirkliche schriftsprachliche Tradition entstehen sollte.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts ist dieser Prozess des Einlebens weit genug fortgeschritten, aber zu einer festen Tradition, die sich in einem sicheren Instinkt für Sprachrichtigkeit zeigt, hat man in einer so kurzen Zeit nicht gelangen können, zumal die sozialen Verschiebungen, die überall für die moderne Zeit so charakteristisch sind, hinzukamen. Ein Resultat der gegebenen Situation war die Entstehung des sprachlichen Purismus als einer nationalen Einrichtung. Eine ganze Schar von Puristen erschien besonders in dem dritten Viertel des 19. Jahrhunderts auf dem Plan, als sich die Notwendigkeit der Stabilisierung der Schriftsprache nach der vorangehenden Periode der Neuschöpfung klar zeigte. Ihr positives Kriterium der Sprachrichtigkeit, wenn sie überhaupt eines hatten, war neben der Sprache des 16. Jahrhunderts, der sogenannten Veleslavínperiode, der Sprachgebrauch bald dieses bald jenes lokalen Dialektes und ihr negatives Kriterium war durch die Überzeugung gegeben, daß alles, was der tschechische Sprachgebrauch mit dem deutschen gemeinsam hat, ein Germanismus sein müße. Die so intensiv auf historische Forschung gerichtete Ära Gebauers hat in der Frage der Sprachrichtigkeit das Alttschechische als Muster aufgestellt und als Maßstab gebraucht. Ihr Augenmerk war dabei hauptsächlich auf die lautliche Form und die Morphologie gerichtet, so daß die Thesen der älteren Puristen, denen es sich vor allem um die Phraseologie handelte, zumeist ungeprüft blieben.
Das war die Arbeit, die auf Zubatý wartete. Wortforscher und Syntaktiker war er von jeher gewesen ; zum autoritativen Bohemisten hatte er sich im Laufe der Zeit ausgebildet. Als im Kriege das vertiefte nationale Bewußtsein auch die Pflege der Muttersprache forderte, wurde Zubatý Kopf und Herz der Bewegung. Er konnte aus dem Vollen schöpfen und machte sich an die Arbeit mit einem Enthusiasmus, der an die längst dahingegangenen Führer der nationalen Wiedergeburt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnerte. Er war vielleicht nicht der eigentliche Initiator der ‘Blätter für die Ausbildung und Reinigung der tschechischen Sprache’, welche unter dem Namen ‘Naše řeč’ (Unsere Sprache) in dem schweren Jahre 1917 mit Hilfe der dritten Klasse der Tschechischen Akademie der Wissenschaften zu erscheinen begannen, aber er gehörte vom Anfang an zu ihrem Redaktionskreise und ist bald ihr bedeutendster Mitarbeiter geworden. Im Laufe der Zeit fielen durch Todesfälle seine älteren und einige von seinen jüngeren Redaktionskollegen weg und das Hauptgewicht der Redaktionssorgen wurde so auf seine Schulter gebürdet, so daß er zuletzt mit Recht sagen konnte, daß ‘Naše řeč’ sein eigenes Kind sei. Auch in der Öffentlichkeit ist er mit dem Blatt identifiziert worden.
In ‘Naše řeč’ hat Zubatý eine lange Reihe von Abhandlungen veröffentlicht, die für das weitere Publikum manchmal vielleicht zu gelehrt waren, die aber immer einen guten Kern für die praktischen Probleme der Sprachrichtigkeit im Tschechischen enthielten. In vielen von ihnen hat Zubatý an Einzelfällen dokumentarisch klargelegt, daß die von früheren Puristen als untschechisch und unrichtig verurteilten Wörter und Wendungen gut tschechisch und richtig sind. Dadurch hat sich Zubatý große Verdienste um eine mindestens teilweise Befreiung der tschechischen Schriftsprache von dem Alpdruck des falschen Purismus erworben. Daß er in der heiklen Frage der Sprachrichtigkeit in den tschechischen Fachkreisen nicht prinzipiell und definitiv Klarheit geschaffen hat, wozu er durch seine sprachwissenschaftlichen Kenntnisse berufen gewesen wäre, ist sicher durch seine Abneigung gegen theoretische Erwägungen in sprachlichen Dingen verschuldet worden. Er hat nichts getan, um das theoretische Problem der Sprachrichtigkeit im Tschechischen, das der frühzeitig gestorbene Vaclav Ertl so fein angeschnitten hatte, von seiner Seite her zu beleuchten. Seine Rektoratsrede vom Dezember 1919, die von dem Verfall der tschechischen Schriftsprache handelt und, nebenbei gesagt, ihre jetzige Situation zu pessimistisch schildert, ist in diesem Punkte sehr allgemein gehalten und geht nicht über die Forderung hinaus, daß sich die tschechische Schriftsprache durch die historische Erkenntnis und durch das Muster der Volkssprache, die Sprache der Großstadtbevölkerung mit inbegriffen, leiten lassen müße.
Noch in einer Hinsicht sind die Resultate der Tätigkeit Zubatýs im Bereich der tschechischen Sprachkultur unvollständig geblieben. In seiner oben erwähnten Rede teilte Zubatý mit, daß schon Grundsteine zu einem Institut für die tschechische Sprache gelegt wurden. Das war im Dezember 1919. Vier Jahre später wurde Zubatý zum Präsidenten der Tschechischen Akademie der Wissenschaften gewählt und bis zu seinem Tode, also acht Jahre lang, hat er diese hohe und gewiß einflußreiche Funktion bekleidet. Keine günstigere Situation hätte für die Realisierung des von der dritten Klasse der Akademie der Wissenschaften unter Zubatýs persönlicher Teilnahme ausgearbeiteten Planes geschaffen werden können. Und doch sind die Grundsteine zu dem Institut für die tschechische Sprache noch heute nicht gelegt worden und es besteht wenig Hoffnung, daß ein solches Institut in absehbarer Zeit gegründet werden wird. Zubatý hat sich oft darüber beklagt und die zuständigen Behörden eines mangelnden Willens, etwas für die Pflege der tschechischen Sprache zu tun, beschuldigt. Das kann aber nur die halbe Wahrheit sein. Wäre Zubatý nicht nur ein großer Gelehrter, sondern ausserdem noch ein tatkräftiger Organisator gewesen, so wäre es ihm wohl gelungen, die Gründung des Instituts durchzusetzen.
Organisatorisches Eingreifen und Zugreifen war aber nicht Zubatýs starke Seite. Alle wichtigen Eigenschaften, die ein organisatorisches Talent besitzen muß, waren seinem im Grunde so ausgeprägt künstlerischen Charakter fremd. Ein guter Organisator muß einen klaren, durch keinen Pessimismus getrübten Einblick in die praktischen Möglichkeiten der gegebenen Situation haben, feste Zuversicht besitzen, daß alle vorhandenen Möglichkeiten mit Erfolg ausgenützt werden können und unentwegt entschlossen sein, im Namen dieses Einblickes und dieser Zuversicht seinen Willen zur Tat den anderen aufzudrängen. Das alles war völlig außer Zubatýs Bereich. Seine skeptische, oft sogar ironisch gefärbte Haltung gegenüber allem, was in der Wissenschaft über nachprüfbare Tatsachen und bewährte Wege hinausging, hinderte ihn, die gebotenen Möglichkeiten einer besseren Organisation der Forschungsarbeit nicht nur zu ergreifen, sondern manchmal auch nur zu sehen, und sein gutes Herz gab nur zu oft dem wiederholten Zureden anders meinender Freunde nach. Nur dadurch wird erklärt, wie es geschehen konnte, daß er sich als Präsident der Akademie der Wissenschaften zum aufrichtigen Leide aller, die seine wissenschaftliche Höhe zu schätzen wußten, zur Teilnahme an Kundgebungen gewinnen ließ, die ideell ungeklärt und praktisch belanglos waren, und daß seine kostbare Zeit, deren jede Minute wir jetzt teuer erkaufen möchten, in den letzten Jahren in fruchtlosen Funktionen vergeudet wurde. Er selbst hat wohl gefühlt, daß es nicht zu gut war, aber er hat sich nicht zu wehren verstanden. Das alles sind aber nur Nebensachen, welche den Belang dessen, was Zubatýs reiche Persönlichkeit der tschechischen wissenschaftlichen Kultur geschenkt hat, nicht im mindesten schmälern können. Es sind leise Schatten, die der Wahrheit gemäß aufgetragen werden müssen, wenn das gezeichnete Bild lebenstreue Plastik haben soll.
Josef Zubatý ist tot und wir alle wissen nur zu gut, wie viel die tschechische Sprachwissenschaft durch seinen Tod plötzlich ärmer geworden ist. Aber auch in der Wissenschaft gilt das alte Wort : le roi est mort, vive le roi ! Beim Tode Gebauers hat es sich in seiner ursprünglichen Bedeutung glänzend bewährt, denn in Zubatý hat damals die bohemistische Sprachwissenschaft gleich einen vollwertigen Nachfolger des verstorbenen Meisters gefunden. In der jetzigen Situation, nach dem Tode Zubatýs, können wir nicht auf eine solche glückliche Fügung des Schicksales hoffen. Aber in einem anderen Sinne wird sich die alte französische Lösung doch als gültig zeigen. Der direkte persönliche Einfluß Zubatýs ist zu Ende. Die Zeit des stillen, fortwirkenden Einflußes seines Lebenswerkes wird jetzt anbrechen. Denn erst jetzt, da die Bescheidenheit und skeptische Autokritik Zubatýs nicht mehr im Wege steht, wird es möglich sein, seine in verschiedenen, oft schon vergriffenen oder sonst unzugänglichen Zeitschriftenbänden zerstreuten Abhandlungen in Sammelbänden zu vereinigen und so sein wissenschaftliches Vermächtnis zu einem lebendigen Teil der tschechischen sprachwissenschaftlichen Tradition zu machen. Wenn es bald geschieht — und wir wollen hoffen, daß die gesammelten Abhandlungen Zubatýs ein besseres Schicksal trifft als die historische Grammatik Gebauers, die bis zum Ende des Jahres 1929, also mehr als zwanzig Jahre nach seinem Tode, auf die Herausgabe des letzten vom Autor ausgearbeiteten Teiles warten mußte — wird sich die Fruchtbarkeit der feinfühligen Methode Zubatýs in Bälde erweisen.
Source : Vilém Mathesius, ‘Die Persönlichkeit Josef Zubatýs,’ Prager Rundschau 1.239-247 (1931).
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