“A Prague School Reader in Linguistics”
Seit einigen Jahrzehnten wird viel systematische Aufmerksamkeit der Erforschung der emotionellen Seite der Sprache gewidmet, deren Bedeutung auch Professor Charles Bally in seinen Arbeiten unermüdlich hervorhob. So ist es gekommen, dass über die Spracherscheinungen, die man unter den Namen Verstärkung und Emphase zusammenzufassen pflegt, heutzutage eine reiche Spezialliteratur vorliegt, die aber unglücklicher Weise die betreffenden Probleme fast ausschliesslich nach den einzelnen Sprachen lind nicht genug vom allgemeinen Standpunkt aus behandelt. Unter dieser engen Begrenzung des Gesichtspunktes sowie des Forschungsmateriales leidet die Forschung in zweifacher Weise: die Grundnatur der sprachlichen Verstärkung und der sprachlichen Emphase wird nicht scharf genug ins Auge gefasst und nicht mit genügender Prezision definiert und die Unterschiede, die unter den einzelnen Sprachen ihrer verschiedenen Struktur und ihrem verschiedenen Erfahrungskreis gemäss existieren, werden nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit verfolgt. Und doch müssen diese zwei Forderungen zuerst erfüllt werden, wenn eine grundlegende Monographie über die sprachliche Verstärkung und die sprachliche Emphase entstehen soll, deren wir zur Vervollständigung der systematischen Sprachanalyse bedürfen. Den Weg zu einer solchen Monographie durch einige theoretische Gedankengänge vorzubereiten, ist das Ziel der folgenden Erörterungen.
Die sprachliche Verstärkung ist ein Ausdruck des hohen Grades einer Eigenschaft oder der grossen Intensität einer Handlung oder eines Zustandes, welcher diesen hohen Grad oder diese grosse Intensität als etwas über das Gewohnheitsmässige hinausgehende und somit unsere Erwartung übersteigende bezeichnet. Dieser Grundcharakter der sprachlichen Verstärkung wird einem jeden klar, der ein evidentes Beispiel einer solchen Verstärkung, etwa den Ausdruck s c h r e c k 1 i c h heisses Wasser, mit der blossen Konstatierung der objektiven Temperatur, etwa n e un z i g g r a d i g e s Wasser, in ihrer Ausdrucksfunktion vergleicht. Was der hohe Grad einer Eigenschaft bedeutet, braucht wohl keine nähere Erklärung, aber die Bedeutung der grossen Intensität einer Handlung oder eines Zustandes erfordert doch einige erklärende Bemerkungen. Die Intensität einer Handlung muss nicht immer in dem Quantum der in einem bestimmten Zeitabschnitt, zum Beispiel in einer Viertelstunde, angewendeten Kraft bestehen, sondern kann sich auch in der Länge der Handlung zeigen, die wieder ununterbrochen oder mit Unterbrechungen fortdauern kann, oder endlich an dem Quantum des erzielten Resultates gemessen werden. Diese Unterschiede werden durch die Anwendung des tschechischen verstärkenden verbalen Präfixes na- belehrend illustriert, der in verschiedenen Konstruktionen verschiedene Momente der Handlungsintensität ausdrücken kann. In dem Satz S tim ku- frem jsme se nadf eli (das war eine Arbeit mit dem Koffer) betont das Verbum nadf iti se (d f iti se : sich schinden) den grossen Kraftaufwand, in dem Satz To j s e m se dnes na te na бе kal (heute habe ich schön lange auf dich warten müssen) drückt das Verbum n a ձ e к a ti se (òekati: warten) die ununterbrochene Länge der Handlung aus, in dem Satze К tomu jsem se uä nachodil (den hab’ ich schon mehr als einmal aufgesucht) wird durch das Verbum nachoditi se (choditi : gehen, im iterativen Sinne) die unterbrochene Länge, also die oftmalige Wiederholung hervorgehoben und schliesslich in dem Satze To jsem té polévky dnes navaf ila (heut’ hab’ ich aber tüchtig viel Suppe gekocht) wird durch das Verbum navafiti (vafiti : kochen) Nachdruck auf das Quantum des erzielten Resultates gelegt. Die Intensität eines Zustandes wird an ähnlichen Kriterien wie die Intensität einer Handlung gemessen, denn es wird dabei entweder die Intensitität hervorgehoben, mit der man einen Zustand erlebt (hart wie ein Klotz schlafen), oder aber die ununterbrochene oder unterbrochene Länge des Zustandes (recht lange liegen: tschechisch nale2eti se; recht oft liegen: tschech. naléhati se, vulg. nalíhati se).
Die Bezeichnung eines hohen Grades einer Eigenschaft oder einer grossen Intensität einer Handlung oder eines Zustandes als etwas das Gewöhnliche übertreffende ist nicht das einzige Moment, das in der sprachlichen Ver stärkung in das Gefühls - massige hineinzuspielen pflegt. Fast regelmässig wird damit auch die Andeutung verbunden, dass uns der betreffende hohe Grad oder die betreffende hohe Intensität angenehm oder unangenehm berührt, dass wir es gut heissen oder abweisen. Von diesem Standpunkt aus können die sprachlichen Ver Stärkungsmittel in neutrale und wertende eingeteilt werden, wobei die Benützung eines neutralen Verstärkungsmitteis allerdings nicht aus- schliesst, dass die subjektive Wertung durch andere Mittel, zum Beispiel durch die Intonation, angedeutet wird. Ein interessantes Beispiel für die wertende Funktion eines Verstärkungsmitteis liefert die manchmal recht komplizierte Bedeutung einiger slavischer Ver stär kungs suffixe adjektivischer Natur. Das tschechische Adjektivum է e ρ 1 о ս ձ ky (zu teply: warm) ζ. ?. bedeutet, dass der Grad der Temperatur eben ein solcher ist, dass er uns angenehm ist (deutsch : recht hübsch warm).
Die sprachliche Verstärkung ist also in der Regel recht stark gefühlsbetont. Deswegen finden wir die zahlreichsten und interessantesten Beispiele dafür in der Volkssprache, wo die Gefühlsbetonung durch den Charakter des Sprechenden gegeben ist, oder in den verschiedenen Spielarten des Slang, wo die Gefühlsbetontheit wieder durch die spezifische Einstellung des Sprechenden bestimmt wird. Der gefühlsmässige Charakter der sprachlichen Verstärkung verursacht auch die schon oft festgestellte Tatsache, dass gerade die intensivsten Verstärkungs- mittel durch längere Benützung an Kraft verlieren. Infolgedessen büssen sie ihren gefühlsbetonten Charakter ein und werden neutral, wobei ihr ursprünglicher Platz wieder von neugeschaffenen Ver Stärkungsmitteln eingenommen wird.
Das bisher Gesagte genügt wohl, die Natur der sprachlichen Verstärkung an und für sich zu charakterisieren. Um aber den Platz festzustellen, den die sprachliche Verstärkung im System der Sprache einnimmt, müssen wir an diese Spracherscheinung von einer andern Seite her herantreten. Ich habe wiederholt zu zeigen versucht (zuletzt in meiner Abhandlung “On some problems of the systematic analysis of grammar”, veröffentlicht im Jahre 1936 im sechsten Band der “Travaux du Cercle Linguistique de Prague”), dass eine systematische Analyse einer gegebenen Sprache vom funktionellen Standpunkt aus natürlich in zwei grosse Teilgebiete zerfällt, funktionelle Onomatologie und funktionelle Syntax. Die Existenz der beiden Forschungsgebiete ist durch die zwei fundamentalen Prozesse gegeben, durch welche ein konkreter Sprechakt zustandekommt. Durch den ersten Prozess wird aus der gegebenen Realität, gleichwohl ob sie konkret oder abstrakt ist, eine Auslese von Elementen getroffen, welche die zweifache Forderung erfüllen, dass sie nämlich die Aufmerksamkeit des Sprechenden im gegebenen Augenblick fesseln und dass sie zugleich durch die Sprachmittel der zu benützenden Sprache ausgedrückt werden können, durch den zweiten Prozess aber werden die diese Elemente bezeichnenden sprachlichen Zeichen durch den Prädikations akt zueinander in Beziehung gesetzt, so dass ein Satz entsteht, durch den der Sprechende seiner Stellung zu der gegebenen Realität Ausdruck verleiht. Die funktionelle Onomatologie handelt also von dem System der sprachlichen Benennungen und von seiner Anwendung beim konkreten Sprechakt, die funktionelle Syntax dagegen von der Struktur der Satztypen und der Satzbildung beim konkreten Sprechakt. Wenn wit nun die sprachliche Verstärkung als Typus einer sprachlichen Erscheinung in eines der beiden angeführten Teilgebiete einreihen wollen, kann ihrem Grundcharakter gemäss kein Zweifel bestehen, dass sie in das Gebiet der funktionellen Onomatologie gehört. Dieser Tatsache entsprechen auch die gewöhnlichen Sprachmittel, welche zur Realisierung der Verstärkung benützt werden. Hie und da wird die Verstärkung nur durch die Benützung einer anderen Benennung erzielt (diese Reklame ruft nicht, sie schreit), sehr oft wird sie durch Anwendung besonderer verstärkender Prä-oder Suffixe ausgedrückt, wozu wir auch die Verwendung von Superlativen in absoluter Geltung rechnen können (bravissimo), und manchmal wirkt verstärkend auch das erste Glied in Zusammensetzungen (zuckersüss, kilometerlang, eiskalt). Andere Typen von Ver Stärkungsmitteln führen schon in das Gibiet der Wortgruppenbildung. Der einfachen Benennungsform nähert sich wohl am meisten die nähere Bestimmung eines Adjek- tivums oder eines Verbums durch ein verstärkendes Adverbium (schrecklich heiss, schrecklich müde, sich ungeheuer anstrengen) oder diejenige eines Substantivums durch ein verstärkendes Adjektivum (ein unglaublicher Dummkopf, eine wirkliche Hexe). Einer uralten Benennungsbildung ist, im Grunde genommen, die Verstärkung durch asyndetische Wortwiederholung verwandt, welche im kolloquialen Englisch geläufig ist (very familiar indeed, many many more examples, a great great friend of yours). Verstärkende Vergleiche können eine Wortgruppe (wie ein Klotz schlafen) oder einen ganzen Satz umfassen. Das letztere gilt z.B. vom Tschechischen, wo man sagt u է fk a 1, jako by ho honili (wörtlich: er lief als ob man ihn hetzte), während das Deutsche hier Partizipialkonstruktionen vorzuziehen scheint (er lief wie von Hunden gehetzt). Manche von den soeben angeführten Ausdrucksmitteln der sprachlichen Verstärkung werden von speziellen Modifikationen der Aussprache begleitet, welche besonders die Druckverteilung und die Satzmelodie betreffen, und es gibt auch selbständige phonische Sprachmittel, durch welche die Verstärkung ausgedrückt wird. Jedoch werden diese erst später in einem anderen Zusammenhang behandelt werden.
Die Emphase nimmt im Sprachsystem eine ganz andere Stellung als die Verstärkung ein. Ihre zwei Grundfunktionen können wie folgt definiert werden: entweder dient sie zur aktuellen Gliederung des Satzinhaltes mit Rücksicht auf den Kontext oder sie drückt die charakteristische Einstellung des Sprechenden zum Satzinhalt aus. Beides weist ganz klar auf das Gebiet der Syntax hin und wirklich sind auch die gewöhnlichsten Sprachmittel, deren sich die Emphase bedient, ausgeprägt syntaktischer Natur. Wir wollen es an einigen Beispielen aus dem zweiten Gebiete der beiden Grundfunktionen der sprachlichen Emphase klarmachen. Die charakteristische Einstellung des Sprechenden zum Satzinhalt kann sich als nachdrückliche Behauptung, die gegen den wirklich geäusserten oder nur möglichen Zweifel gerichtet ist, als emphatische Aufforderung, mit welcher wir unseren Willen durchzusetzen trachten, oder endlich als dringende Anfrage, auf die wir mit Ungeduld eine Antwort erwarten, geltend machen. In allen diesen drei Fällen kann die emphatische Einstellung des Sprechenden zu dem Satzinhalt durch eine eigenartige Druckverteilung im Satze ausgedrückt werden, die von einer spezifischen Satzmelodie begleitet zu werden pflegt. Das wird klar durch die folgenden deutschen Sätze: ich habe das Buch hier gesehen, bleib’ hier und such' e s ! Wо bist Du wieder? Neben der eigenartigen Druckverteilung mit der begleitenden Intonation kann die emphatische Einstellung des Sprechenden zum Satzinhalt auch anders wiedergegeben werden. Man kann sagen: ich muss das Buch hier gelassen haben. Du wirst hier bleiben und es suchen. Wo beim Teufel steckst Du wieder? Auch hier werden in den ersten zwei Sätzen zum Ausdruck der Emphase ausgeprägt syntaktische Sprachmittel angewendet und nur die im dritten Satz zu dem Zweck angewendeten Sprachmittel erinnern an Ausdrucks mittel der sprachlichen Verstärkung. Zu denselben Resultaten gelangen wir, wenn wir die erste der beiden Grundfunktionen der sprachlichen Emphase näher betrachten, welche nach dem oben Gesagten in der aktuellen Gliederung des Satzinhaltes mit Rücksicht auf den Kontext besteht. Auch hier spielt die eigenartige Druckverteilung mit der begleitenden Satzmelodie die wichtigste Rolle. Vergleichen wir nur die folgenden zwei Sätze: Der Vater kommt!, der Vater kommt s c h ο η ! Der erste Satz besagt, dass die Ankunft des Vaters nicht erwartet wird und dass sie infolgedessen als etwas überraschendes mitgeteilt wird. Des wegen wird der Name des Ankommenden nachdrücklich hervorgehoben. Der zweite Satz bedeutet dagegen, dass die Ankunft des Vaters erwartet wird, aber dass die frühzeitige Erfüllung der Erwartung als etwas wichtiges empfunden wird. Deswegen wird hier die Tatsache des Ankommens mit Nachdruck hervorgehoben. In Sprachen, die eine plastische Wortstellung besitzen, d. h. in denen die Wortstellung sich leicht den Anforderungen des Kontextes fügt, kann allerdings die Emphase als Ausdruck der aktuellen Satzgliederung auch durch eine spezifische Wortstellung realisiert werden. Das gilt z.B. vom Tschechischen. Demjenigen, welcher in Prag die Plätze, die mit dem Lebenslauf des Dichters Neruda verbunden sind, besichtigen will, wird sein Führer das Geburtshaus Nerudas mit folgenden Worten zeigen: To je dum, kde se Neruda η a r o di 1. (Das ist Nerudas Geburtshaus). Demjenigen aber, der die Sehenswürdigkeiten der Kleinseite der Reihe nach besichtigen will, wird dasselbe Gebäude mit den Worten gezeigt: To je dum, kde se naro dil Neruda. (Das ist Nerudas Geburtshaus. . .) Die beiden tschechischen Sätze sind in der gleichen Weise konstruiert, aber das nach dem Kontext wichtigste Wort steht beidemal am Ende des Satzes, mag es das Verbum finitum oder das Subjekt sein. Das markanteste Ausdrucksmittel der Emphase ist hier die Wort folge, die man allerdings unbedingt als eine syntaktische Er schei nung betrachten muss. Syntaktischer Natur sind auch andere Mittel, deren sich die sprachliche Emphase bedient, z.B. die im Französischen und Englischen so beliebten Konstruktionen der Hervorhebung, die zum Typus c’est ... qui ... gehören.
Ich hoffe durch das Vorangehende mit genügender Deutlichkeit dargelegt zu haben, dass die sprachliche Verstärkung im Gebiet der Onomatologie, die sprachliche Emphase aber im Gebiet der Syntax ihre Wurzel hat. Klarheit in diesem Punkte betrachte ich als wesentlich für die systematische Erforschung der beiden Spracher s cheinungen. Wer die Sprache als ein Ganzes erfassen will, weiss allerdings, dass sich in ihr die einzelnen Systeme stets durchkreuzen und dass sie nur im Prinzip, aber nicht im Detail, auseinandergehalten werden können. Das gilt auch von der sprachlichen Verstärkung und der sprachlichen Emphase. Diese Spracherscheinungen sind wie zwei Sträuche, die zwar ihre selbständigen Wurzeln haben, deren Aeste sich aber in ein unentwirrbares Ineinander verzweigen können. Wir haben schon oben gesehen, dass auch bei der Verstärkung Druckverteilung und Satzmelodie eine Rolle spielen können und dass umgekehrt die Emphase Sprachmittel, welche der Verstärkung eigen sind, benützen kann. Um dieses Durcheinander klar zu stellen, will ich noch ein Beispiel aus dem Tschechischen anführen. Das Adjektivum ngjaky (ein gewisser) hat im Tschechischen eine klar verstärkende Funktion, aber nur in Begleitung einer bestimmten Druckverteilung. Wenn wir sagen: ty máã nëjakou ζ 1 о s է (wörtlich: du hast einen Groll), bedeutet das, dass wir an der angesprochenen Person Symptome eines aus uns unbekannten Gründen entsprungenen Zornes konstatieren. Wenn wir aber den Nachdruck im Satze anders verteilen und sagen: է y máã nëjakou zio st (wörtlich: du hast einen Groll), wollen wir damit ausdrücken, dass der Groll der angesprochenen Person, gleichviel ob seine Ursache uns bekannt oder unbekannt ist, einen überraschend hohen Grad erreicht hat. Hier wird also die Verstärkung bloss durch die Druckverteilung und die entsprechende Intonation ausgedrückt. Auch solche Fälle, die aus einem Gebiet in das andere hineinragen, müssen sorgfältig beobachtet werden, wenn wir das Problem der sprachlichen Verstärkung und der sprachlichen Emphase klar sehen wollen. Die grundsätzliche Auseinanderhaltung beider Spracherscheinungen muss aber immer die theoretische Grundlage ihrer Erforschung bleiben.
*From Melanges Ch. Bally (Geneva, 19391, pp. 407-413.
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