“A Prague School Reader in Linguistics”
Zur Adaptation der phonologischen Systeme in den Schriftsprachen*
Mein Referat enthält nur einige Bemerkungen uber dieses allzu weite Thema. Eine systematische Darstellung des Problems ist fur mich derzeit noch nicht möglich. Als Slavist be- schränke ich mich dabei auf das slavische Material.
Es ist klar und auch schon öfter bemerkt, dafi das Lexikon und der grammatisch-syntaktische Aufbau einer Schriftsprache sich ihren speziellen Aufgaben anpassen; sie rationalisieren sich. Ich habe selbst daruber einige Bemerkungen im ersten Band der Travaux du Cercle linguistique de Prague und ander- wärts veröffentlicht.1 Aber offen steht noch stets die Fråge, wieweit auch das phonologische System der Schriftspr ache zu diesen speziellen Aufgaben adaptiert wird.
Allgemein bekannt und anerkannt ist die Adaptation der bestimmten phonetischen Realisation in den Schriftsprachen, die sogenannte Orthoepie, die einen Kodex der anerkannten Mus- terausspr ache dar steilt, zum Beispiel die deutsche Buhnenaus- sprache, um das nächstliegende Beispiel zu nehmen. Schon Siebs steilt als Regelungsprinzip fur diese Aussprache nicht nur die ublichste, sondern auch die zweckmäfi igste Aussprache hin, die nach den Fordervingen der Einheitlichkeit, der Deutlichkeit und der Fernwirkung geregelt werden soll.2
So wird die orthoepische Aussprache vom teleologi- schen Prinzip beherrscht.
Aber auch das ganze phonologische System der Schriftspr ache wird seinem speziellen Zweck angepafit, wird teleologisch umgebildet, manchmal nahezu neugeschaffen. Es wird nicht einfach ein phonologis che s System irgendeiner Zeit oder irgendeiner Region, ein bestimmtes System eines Dialektes der Vergangenheit oder der Gegenwart zum System der Schrift- sprache. Nicht einmal die Auswahl zwischen ver schiedenen mò’glichen Systemen geschieht blofi nach äufierlichen Gesichts- punkten — politischen und kulturellen Verhältnissen — sondern es spielen auch hierbei Griinde der inneren sprachlichen Zweck- mafi igkeit mit : die Eignung eines Systems zu den speziellen Aufgaben der Schriftsprache ist ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Auswahl, wenigstens entscheidet sie iiber die Beständigkeit eines solchen Systems.
Darviber belehrt uns in hervorragender Weise ein markanter Unterschied zwischen den jungausgebildeten slavi- schen Schriftsprachen, die e r st im XIX. Jahrhundert unter den Ideen der Romantik gestaltet wurden, und den älteren slavischen Schriftsprachen. Wir haben hierbei den doppelten Vorteil und zwar, dafi diese Schriftsprachen vor unseren Augen sich bilden und, was wichtiger ist, dafi bei ihnen anfangs be- wufit, aus romantischer Uberschätzung des volkstumlichen Wesens, ein régionales phonologisches System als System der Schriftsprache angenommen wurde. So war es in der slovaki- schen Schriftsprache und in der serbischen Vuks-Schriftsprache ; ähnlich auch schon friiher in den ukrainischen und weifirussi- schen Schriftsprachen.
Fiir die slovakische Schriftsprache, die in den Vier- zigerjahren des XIX. Jahrhundert entstanden ist, wurde unter dem Einflufi einer Vorliebe fiir dialektische Buntheit und einer separatistischen Tendenz ein solches phonologisches System ge- wählt, das am meisten von allen ånderen abweicht, — ganz ent- gegen der Tendenz der älteren slavischen Schriftsprachen, ein solches System zu wählen, das allen Sprechern der betreffenden Sprache möglichst nahe liegt.
Das nach gewissem Schwanken fvir die slovakische Schriftsprache gewählte Vokalsystem der kurzen Vokalphoneme ist ein Vierecksystem einiger zentralen slovakischen Dialekte, das selbst in den slovakischen Dialekten in der Minderheit ist und vom áechischen System griindlich abweicht. Es sieht fiir kurze Vokalphoneme so aus :
Das System des Öechischen ist dreieckig :
Aber ein dreieckiges System der kurzen Vokalphoneme ist auch in den slovakischen Dialekten ganz iiblich. Das Phonem a ist den meisten von ihnen fremd. So sehen wir, dafl dieses Vier ecksystem mit a nur ein Idealsystem der Schriftspr ache geblie- ben ist ; in Wirklichkeit wird bei den Slovaken die Aussprache des ä nur markiert und das Vierecksystem wird zum drei- eckigen System, das allen Slovaken weniger Schwierigkeiten bietet.3
Ein ander e s Beispiel bietet Vuks serbische Schrift- sprache. Dank der glucklichen Intuition Vuks wurde einer der verbreitetesten und annehmbarsten Dialekte zur Grundlage ge- wählt. Aber auch hier zeigte sich bald, dafl ein reiner Dialekt, seine eigene herzegovinische Mundart, unhaltbar sei. Das erkannte Vuk selbst und bereicherte den Konsonantenbestand der Schriftsprache seit dem Jahre 1836 um den Konsonanten ge- schrieben h, der seiner Mutter sprache fremd war, doch der Deutlichkeit der Sprache niitzte ; er lernte ihn auf seinen Reisen in Ragusa, in der Bucht von Kotor (Cattaro) und in Montenegro kennen. Dann, seit dem Jahre 1839, begann er die Gruppen dje und tje anstatt der herzegovinischen ce und de zu schreiben in solchen Fallen, wie zum Beispiel djevojka „Mädchen” , tje rati „treiben”, wo den Verbindungen -je- des je-kavischen Dialektes in e-kavischen Dialekten ein e (devojkq, terati) und in i-kavi- schen ein_i (divojkq, tirati) entspricht ; dies beeinfluflt zwar nie den Bestand der Phoneme selbst, sondern nur den Bestand der Phonemverbindungen ; Vuk selbst liefl sich da von der Aussprache, die er in Ragusa und bei den städtlichen Schichten in Bosnien kennen lernte, leiten, doch wählte er jene Verbindung, die fur die Angehörigen der ånderen Varianten der Schriftsprache am klarsten war. Dazu kommen noch einige Kleinig- keiten.4 Mit Recht sagte schon Novakovié iiber die Schriftsprache Vuks in ihrer definitiven Form, dafl es eine Sprache sei, die in dieser Gestalt nirgends vom Volke gesprochen werde.5 Aber Vuk bildete bewuflt, eklektisch eine solche Schriftsprache aus, die der Ragusaner Literatur sprache am nächsten stand und fähig war alle Serben und Kroaten zu verbinden.6
In der jetzigen serbokroatischen Schriftsprache herrscht neben dem Je-kavismus auch der E-kavismus. Man kann aber heute schon prophezeien, dafi der E-kavismus sich mehr und mehr verbreiten wird, und zwar nicht nur, weil Beograd e-ka- visch ist, sondern auch, weil der Je-kavismus fur Angehörige der e-kavischen Dialekte schwerer ist als der E-kavismus fiir die, welche je-kavisch sprechen (vgl. z. B. je-kavisch mlijeko „Milch”, mljekar „Milchhändler” und e-kavisch mleko, mlekqr ). Das sind alles den Slavisten allgemein bekannte Tatsachen, aber man wird sie zur Illustration der allgemeinen Schlusse noch brauchen.
In den älteren slavischen Schriftspr achen wurde das phono- logische System viel grundlicher adaptiert oder umgebildet.
Es gibt zwei Grundprinzipien einer solchen Adaptation.
Das e r ste ist : es gelangt zur Herrschaft oder bildet sich ein Laut, ein Phonem oder ein System, das am leichtesten den Angehörigen der verschiedenen Dialekte, beziehungsweise der ver schiedenen Sprachen, die die betreffende Schriftsprache gebrauchen, annehmbar ist und ihnen die w e ni g - sten S с h w i e r i g к e i է e n bietet.
Das kommt daher, dafi die Schriftsprache Sprache einer gröfieren Gemeinschaft ist oder sein will ; ich mufi bemerken, dafi ich in diesem Punkte keinen Unterschied mache unter dem Interdialekt, wie er sich in den politischen und kulturellen Zentren bildet, und der Schriftsprache im enger en Sinne, sofern sie das gleiche phonologische System haben, also so, wie es z. B. im Russischen der Fall ist, aber nicht im Cechischen, wo das phonologische System einen solchen Interdialekt (der Prager Umgangssprache) von dem der Schriftsprache stark unter- scheidet.
Diese oben erwähnte Tendenz fiihrt zur Vereinfachung des phonologischen Systems oder zur Auswahl eines möglichst einfachen.
Einige konkrete Belege dafiir :
In der M о s к a u e r Umgangssprache herrscht, wie in der russischen Schriftsprache, das sudgrofirussische System der unbetonten Vokale, das von dem nordgrofirussischen abweicht. Die sudgrofirussische Spracheigenart, das sogenannte „akanije”, in der sonst mehr nordgrofirussischen Sprache, läflt sich am besten damit erklären, dafi der Nordgrofirusse alle unbetonten sûdgroBrussischen Vokale ohne Miihe sprechen kann, während umgekehrt der Sudgrofirusse Miihe hat, das ihm unbe- kannte unbetonte o des Nordgrofirussischen zu sprechen.7
Das System der unbetonten Vokalphoneme in der russischen Schriftsprache und im Sudgrofirussischen lautet :
— r?/ wo a einen reduzierten Vokal der hinteren Reihe u — ?/?, -bedeutet, der aus den unbetonten Vokalen o und q nach den nicht - palatalen Konsonanten entstanden ist (z. B. stùrika „den Greis”, gbltyvu „den Kopf”) und t ein reduzierter Vokal der vorderen Reihe, der aus den unbetonten Vokalen a und o nach den palatalen Konsonanten und aus dem e entstanden ist (z. B. Celav’èk „Mensch” pl’esùt1 „tanzen”, d’èset’ „zehn”).
Aber auch dieses schriftsprachliche System wird derzeit noch vereinfacht : aus dem Viervokalsystem wird jetzt ein Drei- a я vokalsystem: — .8 : z. B. man unter scheidet nicht mehr u — l/y zwischen mifò (lieb, fem., Prädikativform) und mela (sie kehrte) und spricht beide gleich (miIb.).
Und auf ähnliche Weise wurde das Moskauer betonte Vokalsystem während des XVIII. Jahr hunder ts vereinfacht, als die Diphthonge , uo ver schwanden.’9
In der polnischen Schriftsprache gibt es seit dem XVIII. Jahrhundert keine verengten Vokale å, ò, è, (geschrieben á, ó, é), die sogenanten „pochylone”. mehr, z. B. ubogq „die arme”, swiéca „die Kerze”, dwór „der Hof”, die noch im XVI. Jahrhundert streng, z. B. bei Kochanowski, von den Vokalphonemen a, cj (und u), e_ (und i/y) unter schieden wurden,10 obgleich dieselben verengten Vokale oder ihre späteren selbständigen Umbildungen, am meisten die des verengten a, in den meisten polnischen Mundarten bis heute vorkommen ; in der Schriftsprache wurde å durch a, 6 durch u (geschrieben 6) und é durch i/y friiher (z. B. swica, syr, geschrieben swieca, ser), jetzt bei der jungeren Generation und in der orthoepischen Aussprache nur durch e ersetzt.11 — Nitsch hat schon vor Jahren gezeigt, da/3 es die Aussprache der östlichen mazovischen und teilweise ethnographisch russischen Bezirke, wo man keine verengten Vokale kannte und kennt und sie nie aus sprechen konnte, war, die den Verlust des verengten å und teilweise auch des verengten e beeinfluCt hat.12
Aus demselben Prinzip wird leicht erklärt, warum in die Cechische Schriftsprache die ziemlich spate Verschmelzung der Korrelationspaare i/y und l/l doch eingedrungen ist, dadurch, dafi die Laute y (das breite i) und 1 verschwanden, obgleich andere viel ältere Veränderungen des 6echischen Zentraldialektes und der Cechischen Umgangssprache, z. B. die Diphthongisierung des y (und Í) in ej und die Verengerung des é in i, nicht mehr Platz im System der Cechischen Schriftsprache fanden : den Angehörigen der Dialekte, wo die se Laute y und 1 verschwunden sind, war es schwer oder unmöglich dieselben auszusprechen.13
Das Kriterium dieser zweckmäfiigen Adaptationen, die geråde belegt worden sind, kann man kurz Expansionsfä- higkeit nennen.
Scheinbar steht dieser Vereinfachungstendenz gegenuber, dafi in den Schriftsprachen andere Phoneme und phonologische Gegensätze erhalten wurden, die in den näch s 11 i e g enden Vo 1 к s munda r էen verschwunden sind.
So zum Beispiel ist in der polnischen Schriftsprache der ältere Unterschied zwischen den Konsonanten 2, ã, 2, d2 und den Konsonanten ?, s, z, dz, erhalten geblieben, obzwar diese zwei Reihen von Konsonanten im Kleinpolnischen (das heifit auch in der Krakauer Mundart) wenigstens seit dem XV. Jahrhundert verschmolzen sind, dadurch, dafi die Konsonanten ?, S, jS und d2 verschwunden sind, das sogenannte „Mazurieren” : es gibt da z. B. syja, zolty, cekac, jezdzç, anstatt szyja, zólty, czekaé, jezdzç.14 Das „Mazurieren” fing zwar auch an in die Schriftsprache im XVI. Jahrhundert einzudringen, so findet man bei Kochanowski Reime, wie z. B. poszly — nio s ly, nqszy — lasy — czasy, vozu — zbozu usw. und noch bei W. Kochow- ski, wie z. B. utoczy — pomocy usw.,15 aber es wurde bald gemieden (und insbesondere in den Komödien im XVII. Jahrhundert verhöhnt).
Damit kann man die Ver schmelzung des с und ձ in den nordgrofirussischen Mundarten vergleichen, (z. B. chocu, oder chocu, noe oder noe, cas oder éas anstatt choCu, no£, Cas), die frviher wahrscheinlich alle diese Mundarten, die fruheren nordrussischen Mundarten der Sachmatov’schen Terminologie nach, getroffen hat und doch niemals in das Moskauer Russische und in die russische Schriftsprache, deren Grundlage nordrus- sisch ist, siehe oben, eingedrungen ist, sondern selbst in den nordgrofirussischen Mundarten vielfach aufgegeben und durch den Unterschied von c und £ ersetzt worden ist.16
Auch in den r u s s i s c he n Mundarten von Pskov, verschmolzen die Konsonanten jí, i, Շ mit £, í, welche Erscheinung in die Denkmäler des XIV. Jahrhunderts und in die späteren zwar eingendrungen ist, doch darin nur als Schreib- fehler vorkommt, dem die Schreiber ausweichen wollten (es wird z. В. пришагося anstatt присягоша, дружии, книзници anstatt друзии, книжници, чедова, издадеца anstatt целова, издалеча geschrieben). In den heutigen Pskover Dialekten beschränkt sich diese Verschmelzung nur auf einige Mundarten.17
Etwas Verwandtes sieht man im Cec h i s с he n : inder Cechischen Schriftspr ache sind die Korrelationspaare_e/é und i/i (geschrieben i und y, fund y) erhalten geblieben oder neu hergestellt, von denen das erste im Cechischen Zentraldialekte seit Jahr hunder ten ganz zer stört ist, da es kein langes é_ gibt (es hat sich in das lange i verändert), und das zweite zu der Zeit, als neben dem Vokal i noch ein breites i (geschrieben y oder i) im Cechischen existierte, teilweise in den phonologischen Gegensatz i — ei dadurch umgebildet wurde, dafi das lange breite f (y) diphthongisiert wurde (z. B. inder Schriftspr ache lepe, lepgf, in der Volkssprache lip, lepgf; in der Schriftspr ache pychq, pygny, zfskati, zisk und in der Volkssprache pejcha, pygny, zej- skat, [zisk], zejma, zima).18
Scheinbar stehen diese Erscheinungen, wie schon gesagt wurde, der oben erwähnten Vereinfachungstendenz gegemiber, aber wenn man frvihere Falle mit diesen letzten betreffs der Struktur des phonologischen Systems vergleicht, sieht man einen grundlichen Unterschied.
Die Korrelationspaare, besonders solche, die isoliert geblieben sind, werden dadurch gestori, dafi die Korrelationseigen- schaft verschwindet und die Korrelaten, Korrelationsglieder ver- schmelzen, s. B. Cech. i/y, l/l poln. a/å.
Dagegen wird die g e 11 e n d e Korrelation durch die Auflösung des Korrelationspaares zu einer Disjunktion nicht zerstört, wie z. B. Cech. e/é in e — f, Cech. i/f in i — e i.
Ferner werden nicht leicht solche phonologische Gegensätze zerstört, die einen hervorragenden lexikalischen (seman- tischen) Wert haben, z. B. pol. g — s, 2 — z, C — c, d2 — dz.19
Die Grunde der Zerstörung der Korrelationen der ersten Reihe habe ich schon frviher angefuhrt. Die Grunde der Erhal- tung der Korrelationen oder der Phoneme in der zweiten Gruppe, respektive ihrer Restitution, sehe ich darin, dafi erstens ein Archiphonem i/f, e/é erhalten bleibt, insbesondere, weil es durch die optische Vorstellung, durch eine Litera gebunden ist ; denn die Schrift spielt in den Schriftsprachen auch ihre Rolle, namentlich in solchen, die auch von der Umgangssprache der kulturellen Kreise abweichen, wie es im Cechischen der Fall ist.
Zweitens wirkt so gegen die Vereinfachung des Systems, wenn sie auch schon teilweise in den Mundarten durchgefiihrt ist, das Streben nach Deutlichkeit der Wörter; Deutlichkeit ist auch eine Bedingung der leichteren allgemeinen Armehmbarkeit der Schriftsprache, wieder nur der akustischen Seite nach. Und ger ade die Deutlichkeit und leichte Verständ- lichkeit wird in der Schriftsprache dadurch erschwert, dafi aufiersprachliche begleitende Verständigungsmittel beseitigt oder geschwächt werden, so dafi jede weitere Erschwerung zu vermeiden ist.
Daraus erklärt sich die Erhaltung des Unterschiedes zwischen den Konsonanten s — 5, z — 2 usw. in der polnischen Schriftsprache, ähnliche Erscheinungen im Russischen, die Auf- nahme des Konsonanten geschrieb. h in die serbische Schriftsprache.
Dasselbe Streben nach Deutlichkeit wirkt sich auch in der Schriftsprache durch eine gröfiere Selbständigkeit des Morphems und des Wortes aus, sodafi die Ausnûtzung und Kombinationsfähigkeit der Phoneme sich ändert.
So z. B. im Cechischen unterscheidet man in der gewählten Sprache bogsky (geschr. bo2sky) — bosky (gôttlich — barfuflig), so erhält sich das Morphem in Wörtern wie muZsky (Adj. zu mu2 „Mann”), ffSsky (Adj. zu ífãe „Reich”), ko2ce (Dat. zu koCkq „Katze”), svlqgce (Gen. zu svlqgec „Winde”) usw. , wo man in der Umgangssprache stets nur musky oder muskej, f f sky oder ffskej, oft косе, svlace hört, wo es aber der Deutlichkeit wegen unnötig ist diese Konsonantengruppen zu erhalten oder zu resti- tuieren, oder das betreffende Morphem nicht mehr deutlich auftritt, spricht man stets nur iesky („Cechisch”), gewöhnlich auch vlqsky (ofech, geschr. vlqgsky „wälsche Nufi”), oft bqbice (geschrieb. bqbiCce, Dat. zu bqbiCkq „Grofimutter”), dobro- drustvi (geschrieb. dobrodru2stvi „Abenteuer”) usw.
Dasselbe Streben nach der Erhaltung des Morphems be- gegnet uns in der Erhaltung der Konsonantengruppen im Auslaut, z. ?. im Russischen in der Schriftsprache kust (Gen, kusta , „Strauch”), most „Brxicke” usw., wo die Volkssprache gewöhn- lichkus, mos usw. hat.20
Weiter, was die Selbständigkeit des Wortes betrifft : es gibt Sandhierscheinungen im Cechischen, die nur in der lebendigen Volkssprache erscheinen, wie tem byl, om pil (anstatt ten byl „er war”, ten pil „er trank”), dy-sem pfigel (anstatt [k] dyg sem pfigel „als ich gekommen bin”) usw., aber in der wirklichen Schriftsprache niemals vorkommen.
Im Anlaut besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der Cechischen Volkssprache, die den Hiatus beseitigt hat, und der Schriftsprache, die den vokalischen Anlaut erhalten hat, z. B. око — voko „Auge” usw.
So haben wir zwei prinzipielle Tendenzen in der Adaption des phonologischen Systems der Schriftsprache : Ex- pansionsfähigkeit und grö Cere Deutlichkeit: beide dienen demselben Zwecke, der leichtesten und weitesten Anwendbarkeit der Schriftsprache. Ich glaube, dafi diese inneren Grunde eine grofie Rolle bei der Bildung der Schriftsprachem spielen und dafi die genannte Adaption wirklich zweckmäfiig, teleologisch zu erklären ist.
*
Noch zwei Bemerkungen :
1. Die Schriftsprache hat ihr eigenes phonologisches System, aber daneben kann sie auch Elemente der ånderen Systeme als stilistische Varianten gebrauchen. Diesen Fall sieht man sehr entwickelt in der Cechischen Sprache. Da bei uns das System der Schriftsprache nicht in der Umgangssprache ge- braucht wird, gebraucht man ganz systematisch Glieder des Systems der Prager Volkssprache um eine peiorative oder allgemein expressive Schattierung zu erzielen, z. B. ufad — ou?ad „Amt”, vygka — vejgka „Höhe” usw.
Es gibt dann Wörter der dauernden emotionellen Schattierung, die stets diese expressive Lautform haben, z. B. ougko „ein kleines Ohr” (ein Schmeichelwort), pejsek („das Hundchen”), hejl „Gimpel”, (hejl na nose „rote Nase”) usw. In der Umgangssprache gibt es wieder Wörter, in denen man niemals das ej statt £ (y) ausspricht, wie vyheiï ,„Glvihofen”, vystava „Ausstel- lung”, vykfik „Ausruf”, vyznam „Bedeutung”, Personennamen des Typus Novy usw., sogar in der Volkssprache sind einige solche Wörter mit dem schriftsprachlichen Systeme, wie vybor (mit Bedeutung zemsky vybor „Landesausschufi”), velebny pane „hochwurdig”, teilweise vystava (oder vystava) „ Aus stellung”, ähnlich ote с „Vater”, doch voko, vokno usw. Es sind alles „gelehrte Wörter”. Etwas ähnliches sieht man auch im Polni- schen : es gibt in der Schriftsprache Wörter meistens einer peiorativen oder emotionellen Schattierung, die mazurieren, wie z. B. cupiec, cupngc „sich bucken”, cuchnçc „riechen”, oder wenigstens zwischen c/ii schwanken21, und wieder in den mazurierenden Mundarten gelehrte Wörter mit 2, §, 2, z. B. zelezo „Eisen”, boze „Gott” (Vok. ), zegnçé „segnen”, szes (6), szóstkq „sechs”, szolq „Schule”.22
So wird im Cechischen durch Ausniitzung dieser zwei phonologischen Systeme, aus denen immer das eine nur zu stili- stischen Varianten dient, dieselbe Schichtung der Sprache er- zielt, welche im Russischen durch lexikalische Mittel der Anwen- dung einer doppelten Reihe von Wörtern der kirchenslavischen Wörter, die eine mehr festliche oder poetische Schattierung oder die abstrakte Bedeutung haben, und der russischen, die den ge- wöhnlichen und mehr konkreten Sinn haben, z. B. око — glqz „Auge”, usta — rot „Mund”, ve liki j — bol’ goj „grofi”; glava „Kapitel” (in Buchern) u. ähnl. — golova „Kopf”, ogradit’ ,,be- schutzen” — ogorodit’ „umzurnen”, 2u2doj „sonderbar, unbe- greiflich” — 2u2oj „fremd” usw.23
2. Es handelt sich bei den Schriftspr achen oft um die Adaptation eines fremden phonologischen Systems und es wird auch interessant sein zu verfolgen, was und wie aus ihm iïber- nommen wird.
Diesen Fall vertritt in den slavischen Sprachen die Adaptation der altkirchenslavischen Sprache. Ich will nur kurz sagen, dafi auch da die fremden Laute, Phoneme oder Kombinationen verschwanden oder umgebildet wurden, so z. B. die altkirchenslavischen Nasalvokale Q und զ wurden im Russischen durch u und a ersetzt, und auch die altkirchenslavischen Konsonantengruppen ät’, 2d’, die dem Russischen vor dem Schwund der schwachen Halbvokale (?, ?) fremd waren, verschwanden an- fangs : 2d wurde im älteren russischen Kirchenslavischen stets durch 2 ersetzt, und die Litera ät (?) ist zwar geblieben, aber ihre Aussprache wurde in das einheimliche §2 umgebildet (ПОМОЩЬ usw.). Dagegen sind die bekannten Laute und Phoneme geblieben, wenn auch etymologisch anders ausgemitzt, wie z. B. strana, glava, graZdanin (russ. storona, golova, gorod) usw.24
Doch werden auch fremde Laute und Phoneme ubernommen, aber es handelt sich um solche Laute, die in das betreffende System passen, wie f und teilweise g in den slavischen Sprachen, da sie stets den heimlichen Phonemen v und к korrelativ sind, dagegen trotz des bewuflten Strebens der Schule ist z. B. th dem íechischen fremd geblieben in gleichem Mafie, wie man jetzt im Russischen tekst, teatr, tema, teologija usw. mit t’ aus- spricht.
Notes
1. Influence de la fonction de !a langue littéraire sur la structure phonologique et grammaticale du tchèque littéraire, 1. c., S. 113 ff., weiter in einem Vortrage „Funkce spisovného jazyka”, der in Sbornfk p?edná§ek pronesenych na I. sjezdu ísl. profesoru. . . (Prag 1929), S. 130 ff. abgedruckt ist. — Aus diesem Gesichtspunkt wurde auf den Aufbau des Lexikons und teilweise auch auf den der Syntax öfter aufmerksam gemacht, vgl. Me i llet, Aperçu d’une histoire de la langue grecque (2. Aufg. 1920), S. 90 u. pass., Trávní ïek, O íeském jazyce (1924), S. 98 f., Trubetzkoy, К probleme russkogo samopo- znanija (1927), S. 57 und passim.
2. Siebs: Deutsche Buhnenaus spr ache, 12. Aufg. (1920), S. 15 ff.
3. Vgl. Trubetzkoy in Travaux du Cercle linguistique de Prague I, 1929, S. 56 f. — Jakobson im Artikel ,,Z fonologie spisovné slovenãtiny” in der Festschrift „ Miscellanea slovenica” 1931, S. 165. — Hála, Základy spisovné vyslovnosti slovenske (1929), S. 98 ff.
4. Vgl. Vuk, Skupljeni gramatiCki i polem. spisi III, S. 4—io (= Vorwort zu „Poslovice” 1836). — Belief, О Vuko- vim pogledima na srpske dijalekte i knjiäevni jezik (Glas Srpske kraljevske akademije 82, 1910, S. 101 ff.), S. 158, 177, 187, 211 und passim.
5. Vgl. Glas Srp. kralj. akademije 82, 1910, S. 105, Fufinote.
6. Vgl. Be li 6 : 1. ?., S. 213.
7. Sachmatov: OCerk sovremennogo russkogo literatur- nogo jazyka (1925), S. 14 ff. — Jakobson: Remarques sur l’évolution phonologique du russe (1929), S. 94.
8. Vgl. Scerba: Russkije glasnyje (1912), S. 97 ff.
9. Vgl. Vasiljev: Izvëstija russkago jazyka 10, 1905, 2, 177 ff. S a ehm ato v: OCerk drevnéjäago perioda istoriji zvu- kov russkago jazyka (1916), S. 343 ff.
10. Er setzte niemals Reime wie trwogq — ubogd, tego — wielkiégo und nur ausnahmsweise solche wie niewoli — klóli, vgl. Nits eh, Z historji polskich rymów (1912), S. 15 ff. — Noch im XVII. Jahrhundert gibt es bei W. Kochowski Reime mit a — Ճ oder u — б höchstens selten, doch oft reimt er é y(i),~vgl. ~U. LeKöw irî~der Zeitschr. Prace filologiczne 15, Ղ 930, T, S. 137 ff. u. 149.
11. Vgl. Jçzyk pol ski 1, 1913, S. 174 ff., ib. 13, 1928, S. 8 und Prawidla poprawnej wymowy polskiej (1930), S. 13.
12. Nitsch, O wzajemnym stosunku gwar ludowyeh i jçzyka literackiego, Jçzyk polski 1, 1913, S. 80 ff. (teilweise schon im Artikel Ugrupowanie gwar polskich in Rozprawy Aka- demji Umiejçtnosci, wydzial filologiczny 46, 1910, 358 ff. ) — Ahnlich auch von L e h r - S p 1 a w i n s k i in Zar ys dziejów lite - råtur i jçzyków literackich siowianskich von A. Bruckner und T. Lehr-Splawinski (1929), S. 193.
13. Vgl. uber diese vom Verfasser näher erklärte Ver- schmelzung schon im I. Band der Travaux du Cercle linguistique de Prague, S. Ill ff.
14. Vgl. Dobrzycki: О tak zwanem mazurowaniem w jçzyku polskiem in Rozprawy akademji umiejçtnoáci, wydzial filologiczny 32, 1900, S. 221 ff. — Nitsch, ib. 46, 1910, 345 und in der Zeitschrift Jçzyk polski 1, 1913, 35 ff. — Los in Jçzyk pol ski 3, 1916, 116 ff.
15. Nitsch: Z historji polskich rymów (1912). S. 34 ff. — J. Le ko w: Lingwistyczna analiza rymów W. Kochowskiego in der Zeitschrift Prace filologiczne 15, 1930, 1, 153 ff.
16. Vgl. Durnovo: Vvedenije v istoriju russkogo jazyka (1927), S. 112. — S a ehm ato v: OCerk drevnëjâago perioda istoriji russk. jazyka (1916), S. 317 ff. —Durnovo: OCerk isto riji russk. jazyka (1924), S. 216 ff. — Sachmatov: OCerk sovremennogo russk. literaturnogo jazyka, S. 13. — Trudy komissiji po dialekt. 11, 1930, 2, 5 u. passim.
17. Vgl. Karinskij: Jazyk Pskova i jego oblasti v XV. vëkë, S. 78 und passim. — S a ehm a to v: OSerk dre vnëj Sago perioda usw., S. 327 ff. — Durnovo: Opyt dialekt, karty (1915), S. 37 und 38.
18. Vgl. eine nähere Erklärung der Umstände dieser Zer- störung und ihres Verhältnisses zur Schriftsprache in meinem erwähnten Artikel im I. Band der Travaux du Cercle linguistique de Prague, S. 110 f.
19. Man hat mir eingewendet, dafi im Polnischen keine Homonyma durch Ver schmelzung dieser Reihen von Konsonanten erstehen und sie deshalb keinen so grofien semantischen Wert haben : aber erstens gibt es doch genug Falle, wo der Unterschied zwischen diesén Konsonanten einen semantischen Wert hat, z. B. Czech „Ceche” — cech „Zunft”, czelny „Stirn-” — celny (zu clo) „Zoll1 cep „Dreschflegel” —czep „Haken”, cepek „Drescher” — czepek „Haube”, czar „Zauber” — car „Zar” usw.; posztq, poszly „sie ist gegangen” und PI. — posla, posly, Gen. Sg. und Akk. Plur. zu posei „Bote”, nieszli „sie sind nicht gegangen” — nie sli „sie sind getragen” — weszla, zaszla — wesla, zasla (3. Sg. zu weslac zaslad „einbetten” ) usw. — Belehrend ist auch die Tats achei die Rudnicki in Symbolae grammaticae in honorem Rozwadowski (I, 62) anfiihrt, obzwar er selbst den semantischen Wert dieser Gegensätze (s-S usw. ) zu wenig schätzt, dafi in den mazurierenden (kleinpolnischen) Dialekten die Identifikation zwei weit liegenden Formen : nas, Gen. Plur., und nas ( naS) „unser” doch durch die neue Form naski fiir nas „unser” beseitigt wird. — Zweitens, handelt es sich nicht nur darum, ob die Verständlichkeit der Sprache durch Homonyma zerstort werden soll (sie haben wirklich in den slavischen Sprachen nicht so einen grofien Wert wie in den romanischen), sondern darum, dafi die leichte Ver ständlichkeit und die Deutlichkeit, die in der Schriftsprache wichtiger ist als in der Volkssprache, durch jeden Verlust phonologis cher Gegensätze erschwert wird und die Mafigabe des Verlustes liegt in der Aus- niitzung und Häufigkeit der betreffenden phonologischen Elementen. — Rudnicki 1. c. (S. 63) sieht den Grund der Erhaltung des Unterschiedes dieser zwei Reihen in der höheren Sprachbe- wufitsamkeit (swiadomosc jçzykowa) der gebildeten Leute ; sein wohl zu weit formulierter Standpunkt ist doch nicht grundsätz- lich von dem unseren entfernt.
20. Vgl. z. B. Durnovo, Opisanije govora der. Parf. Mosk. gub. in Russkij filoleg. vëstnik 45, 1901, S. 267 und 46, 1902, S. 129; Cemyiev in Sbornik otdëlenija russk. jaz. 68, Nr. 3, 20 usw.
21. Vgl. Nit sch im Rocznik slawistyczny 2, 1906, 110. — Rudnicki in Symbolae grammaticae 1, 65.
22. Vgl. Dobrzycki in Rozpravy Akademji umiejçtnosci, wydzial filologiczny 32, 1900, 218.
23. Vgl. Trubetzkoy: К probleime russkogo samopo- znanija, S. 81.
24. Vgl. Durnovo in Slavia 1, 1922/23, S. 220 ff. — BuliC, Cerkovnoslav. elementy v russk. jazykë, S. 131 ff.
*From Travaux du Cer cle Linguistique de Prague, IV, 278 (1931).
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